Pardon, aber das ist zu dämlich

Verspäteter Epilog und wirklich letzter Teil der Folge von Beckmann-Artikeln anlässlich der drei Ausstellungen Basel, Leipzig, Frankfurt am Main, 2011/12. Am meisten Aufmerksamkeit für die theosophischen Zeiten-Seelen-Spekulationen des Max Beckmann spürte man auf der Frankfurter Station. Freilich legten die Werke dies dort besonders nahe. Wie es geschieht, lässt die Diagnose, das Ausstellungstrio hätte nur Beckmann light geboten, nicht korrigieren.

Beckmann in Amerika, effektiv drei Jahre bis zum Tod. Er kam als berühmter Maler, aber Amerika ist groß, und die Jungen geben den Ton an. Was in Europa Picasso war, sind nun die jungen abstrakten Expressionisten.

Er spürte die Konkurrenz bedrückend. Am 11.5. 1949 klagt er ins Tagebuch: „nächstens werde ich nur noch abstrakt malen, das ist angenehmer“. Jutta Schütt macht im Frankfurter Katalog darauf aufmerksam, dass Beckmann es bemerkt hat, nicht in den gerade erschienenen Kanon der Geschichte der Modernen Malerei (Skira, 1950) aufgenommen zu sein. Er kommentiert, er sei „endgültig aus dem ‚modernen Schiff’ ausgebootet (…). – Na fahren wir auf dem Floß weiter –“

Es ist bekannt, wie gern Beckmann im US-Exil unterwegs war. Er reiste nach Kalifornien, in den Norden (Minneapolis), den Süden (New Orleans), nach Colorado, St. Louis und an die Ostküste sowieso, an die großen Seen, nach Chicago und Detroit. Ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Kalifornien führte an die Grenze zu Mexiko. Man kann zusammenfassen: Beckmann suchte den Jazz und die Landschaften der Urzeiten.

Es verlangte ihn nach den Ur-Landschaften und Ur-Zeiten des unbekannten Kontinents, von denen er bei Blavatzky (und anderen) gelesen hatte. Seine Weltanschauung hatte sich diesbezüglich bewährt. „Mein Weltbild hat sich seit Frankfurt nicht geändert.“ (9.3.49 an Benno Reifenberg). Die theosophischen Hintergründe Beckmanns werden im Frankfurter Katalog mehr als in den beiden anderen berücksichtigt, doch fast ausschließlich illustrativ, sie werden auch hier nicht als inhärentes Wesentliches des Malers beschrieben.

Zwei, drei Beispiel, wie dadurch programmatische Werke verkannt werden: Im begleitenden Text zu „Café-Interieur mit Spiegel“ (1949) wird zwar Beckmann aus den Tagebüchern zitiert (7.7.1949): „Manchmal höre ich etwas wie eine Art Wiederhall von meinem Leben jenseits des Lebens, doch nie und nimmer ganz das von meinem Ich, dem ich nach wie vor unbekannt gegenüber stehe – oh viele Spiegel sind notwendig um hinter die Spiegel zu sehen…“.

In dem Bild sieht man den Effekt der Spiegel im Spiegel, die sich bis zur strichgroßen Unkenntlichkeit verkleinern. Das Faszinosum Unendlichkeit und wie man darin zu Hause sein kann, um es auf ganz einfache Art zu sagen, die Sehnsucht „hinter die Spiegel zu sehen“ – das wäre das Thema des Bildes. Stattdessen liest man das Fazit: dass entscheidend für Beckmann „nicht der zu malende Gegenstand, sondern „seine Übersetzung mit den Mitteln der Malerei in die Abstraktion der Fläche“ gewesen sei.

Die gleiche Methode wird angewendet beim „Stilleben mit zwei großen Kerzen“ (1947, hier gut mit Lupe anzusehen).  Zwar wird auch hier eine Formulierung Beckmanns zitiert, er begegne der „Unendlichkeit des Raumes“ mit gemalten Gegenständen, doch dass dieser Vorgang selbst die Allegorie des Bildes auskleidet, bleibt ungesehen, weil der Horizont, der für diese Interpretation nötig wäre, verloren ist.

Dabei ist das eine Art Programmbild: Eine hintere Bildschicht mit Spiegeln und vermutlich Fensterrahmen (als rechteckige Spiegel, wie im Katalog vermutet) wird von drei Paletten davor abgeschirmt. Die dritte Palette, rechts, am dichtesten bei dem dahinter stehenden Inventar, ist schwarz, das sollte etwas bedeuten. Davor in der Mitte des Bildraums finden sich auf einem Tisch bildmittig eine grandiose Kerze und eine umgefallene erloschene. Der Fuß vom Kerzenständer der letzteren ist oval, schwarz geöffnet, der übliche Ausblick in die andere Dimension Beckmanns. Neben der brennenden Kerze prangt eine herrliche Blüte, die reinste Fleischlichkeit einer Orchidee, daneben eine hölzern steife Frauenskultpur.

Spiegel – Palette – Blüte und Frau. Überdeutlich sind die Paletten das Scharnier und die Grenze zwischen sinnenstrotzendem Sein diesseits und dem unbegreifbaren Schwarz des Jenseitigen. Das vordere wird verlöschen wie die eine Kerze. Malerei als Vermittlerin zwischen Ewigkeit und Diesseits. Ein Programmbild des Malers.

Doch was wir lesen, hält sich im Formalen auf. Beckmann habe zahlreiche Stilleben gemalt, aber, und nun wird es absurd: „Im Gegensatz zu den traditionellen, beispielsweise barocken Beispielen des Genres können Beckmanns Varianten nicht primär allegorisch aufgefasst werden. Vor allem dienen sie dem Maler als verdichtete Kompositionen, um die ‚Durchtastung des Raumes’ auf die Leinwand zu bannen.“

Pardon, aber das ist einfach zu dämlich.

Glücklicherweise gibt es einen Lichtblick. Die Autorin der Annotation zu „Hinter der Bühne“ (Backstage), 1950, Beckmanns letztem Bild, Karoline Feulner (Barockfreunde werden bei dem Familiennamen neugierig), nennt für die geteilten Runds der Bullaugenfenster das En-Soph als Motiv, hier als  „Hinweis auf die verborgene Erkenntnis der dunklen Fläche, welcher der geoffenbarte Logos auf der lichten Seite gegenübergestellt ist. Dieses häufig von Beckmann verwendete Motiv kann auf die Begründerin der modernen Theosophie, Helena Blavatzky, zurückgeführt werden, deren Schriften er wiederholt gelesen hat.“

Es ist nach meiner Erinnerung das einzige Mal, dass dieses Lieblings-Symbol Beckmanns in dieser sogenannten Beckmann-Renaissance genannt wird. Typischerweise kommt die Autorin zu der Mitarbeit an diesem Katalog nicht durch frühere Veröffentlichungen über Beckmann, sondern als Volontärin am Städel. So wird die Ausstellungstrias Beckmann im Jahre 2011/12 auch, ja, auch das, zur Blamage der Beckmann-Forschung.

Freilich, das Vergnügen, das Erlebnis mit Beckmannscher Malerei ist und bleibt enorm. Freuen wir uns auf Ende März. Dann eröffnet die Pinakothek der Moderne in München eine Schau über die „Frauen“ von Picasso, Willem de Kooning und Beckmann. Klingt komisch? Klingt interessant, und auch dafür sind die amerikanischen Jahre Beckmanns wichtig, wie die Frankfurter Ausstellung nebenbei vermittelte.

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