Man fragt sich als streng aufgewachsener Zögling jedesmal, wenn die eigene Meinung von der der Mehrheit oder einer informierten Minderheit abweicht, ob der Fehler nicht doch bei einem selbst liege. Aber Max Beckmann 2011/12, es bleibt dabei, das war nur Beckmann light, Resultat einer jahrelangen gut gemeinten Trivialisierung.
Im Januar gehen die drei Ausstellungen zu Ende. Meine Irritation, warum man dem Maler in Basel (Landschaft) und Leipzig (reale Personen im Werk) so wenig Metaphysik belasse, wurde in Frankfurt am Main (Amerika) nicht beseitigt.
Der Grund liegt vermutlich in der unzulässigen Ernüchterung, die, angeführt von Hans Belting und Uwe M. Schneede, in der Beckmann-Forschung überhand genommen hat. Man ist argwöhnisch gegenüber den Spintisierereien des Malers und verwechselt dessen Furor der Sinne mit Diesseitszugewandtheit.
Nur fast treibt man ihm seine Metaphysik aus, fast, denn es gelingt natürlich nicht. Das „Geheimnis“ bleibt übrig, es ist nicht zu erklären. Die „kosmische Dimension“ darf er behalten; gleichwohl wird alles geleugnet, was irgendwie direkt theosophisch genannt werden dürfte. Das hat gravierende Folgen.
Es gibt immer wieder zitierte Bemerkungen Max Beckmanns, in denen er zwischen Realität und Sein vermittelt, ein Bogen zwischen Diesseits und Jenseits. Er wolle, schreibt Beckmann, den „Mythos aus dem gegenwärtigen Leben heraus zu schaffen: das ist der Sinn“. Was heißt das?
Mit der dominierenden Interpretation Beckmanns würde man aus diesem Zitat schlussfolgern, der Maler wolle sich dem „gegenwärtigen Leben“ widmen. Das Gegenteil ist der Fall. Dieser Maler suchte eine Wahrheit, in der die Gegenwart nur eine Durchgangsstation ist.
Er liest in seiner vierbändigen Ausgabe der Theosophie der Madame Blavatzky (dazu später) deren Variation eines talmudischen Lehrsatzes: „Wenn du das Unsichtbare kennen willst, so öffne deine Augen weit für das Sichtbare“ und kommentiert mit den Worten „Das war immer mein Lebensprinzip 30.4.38…“ Diesen Satz übernahm er in eines seiner seltenen Malereitraktate.
In Uwe M. Schneedes Monographie heißt es zum Beispiel: „seine Größe lag auch darin, dass er das synkretistische Wissen in wuchtige, sinnliche Gestalten, Szenen, Bilder überführen konnte, die nicht vom Geheimnis philosophischer oder esoterischer Lehre oder toskanischer Malerei leben, sondern ihre eigenen Geheimnisse aus der Imagination beziehen, wie sie in Beckmannschen Werken Farbe und Gestalt geworden sind“.
Abgesehen davon, dass es argumentatorisch unlauter ist, die unwichtigen toskanischen Formen-Vorbilder Beckmanns mit seiner überaus wichtigen Seelen-Heimat in der Esoterik zu verknüpfen, um sie gemeinsam abzumelden; für das eine ist es erlaubt, das andere soll mitgetroffen werden.
Abgesehen davon, schreibt Schneede, Beckmann habe „überführt“ in wuchtige, sinnliche Gestalten eigener Geheimnisse und Bedeutung – das meint in einen geistigen Horizont jenseits des esoterischen Weltraums, in dem sich Beckmann nun allerdings nachweislich doch aufhielt.
Beckmann etabliere, schreibt Schneede in seinem Leipziger Katalogbeitrag über die 1920er Familienbilder eine „Scheinwelt“, doch der Autor passt sie unserer Realitätsvorstellung an: „So wurde das Lebensvolle um Überlieferungen aus Mythen, Religion, Sagen und Kunstgeschichte angereichert und auf der Bildbühne theatralisch überhöht. Die Grundlage aber war die intensive Erfahrung von Wirklichkeit, wie sie sich auch mit den Bildnissen in die Gemälde übertrug. ‚Willst Du das Unsichtbare kennen lernen, ergieb Dich mit ganzen Herzen dem Sichtbaren’, was ja auch bedeutet: Fuße aufs Vertraute und Verstandene, um zum Unvertrauten und Unverstandenen zu gelangen.’“
Die letzte Wendung wird in ihrer Kausalität verkehrt und im Grund nicht verfolgt. „Das Lebensvolle“ – „angereichert“ – „auf der Bildbühne theatralisch überhöht“, Grundlage ist die „intensive Erfahrung von Wirklichkeit“? Das ist einfach nicht Beckmann, wie er in den Briefen, in den Tagebüchern – und eben sehr wohl in geradezu unheimlich vielen Bildern zu erkennen ist.
Intensive Erfahrung von Realität? In theosophischer Manier war für Beckmann „alles Suchen und Mühen“ dazu da, „sein eigenes Selbst zu finden, sein wirkliches Selbst, von dem das gegenwärtige Selbst nur ein schwacher Abglanz“ sei. Beckmanns Ziel war nicht das „gegenwärtige Leben.“
Er brauche kaum ungegenständliche Dinge in der Malerei, schreibt er, „da mir der gegebenen Gegenstand bereits unwirklich genug ist, und ich ihn nur durch die Mittel der Malerei gegenständlich machen kann“. Die „wuchtigen, sinnlichen Gestalten“ (Schneede) sie sind ihm „unwirklich genug“ (Beckmann). Die kantige, realistische Malerei wird gegen die Weltanschauung ausgespielt, das scheint der grundsätzliche Irrtum zu sein.
Im Jahre 1949 schreibt er an seinen Sohn, wenn jetzt so viel von Individualität die Rede sei, solle man nicht „vergessen, dass das die einer ewigen Seele ist… Eine Seele die sich bei jeder einzelnen Persönlichkeit in einem mehr oder weniger entwickelten Zustand befindet, aber von einem unzerstörbaren Urzustand ausgeht“. Was heute wie esoterischer Schnack in den Ohren klingt, hat diesen Maler sein Leben lang beherrscht.
Man bräuchte nicht darüber zu streiten, wären nicht Verflachung und Verfälschung die Folge. Etliche Texte, die die Abbildungen in den Katalogen begleiten, sind wirklich zu niedlich, und zwar auf allen drei Stationen.
Man wird Beckmanns vielen Metaphern seines sensiblen Ichs, der Verstellung im Clown, dem Motiv der Welt als Bühne, den vielen formalen Anspielungen an Ewigkeit und Endlosraum nicht gerecht, wenn man das Weltbild des Malers auf seinen eigenen Horizont – herunter oder herauf – zwingt. Wer dies tut, scheitert bei der Beschreibung eines jeden Selbstbildnisses dieses Malers.
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