Zum Ende der Beckmann-Ausstellungen (Schluss). Es gibt immer wieder wunderbare Bücher, die durchfallen und vergessen werden, weil ihr explosiver Kern durch die Kritik tatsächlicher Übertreibungen oder sogar fehlerhafter Grundannahmen ausgehebelt wird. Alexander Perrigs Buch über den ketzerischen Dürer gehört dazu oder Hans Gerhard Evers’ Buch über „Dürer bei Memling“. Zuerst nennt man diese Bücher umstritten, bald gelten sie als verzichtbar.
Ähnlich erging es F.W. Fischer mit seinen Forschungen über Max Beckmann. Fischer hatte übrigens, wie Thomas Noll mitteilte, nur die zweibändige Blavatzky-Ausgabe von 1932 als Referenz. Was hätte er erst aus Beckmanns vierbändiger Ausgabe erschlossen, die der Maler durch regelmäßige Einträge selbst zu den gleichen Abschnitten wie eine Art Tagebuch benutzte!
Carla Schulz-Hoffmann hatte 1984 (Katalog der Münchner Retrospektive) zwar geschrieben, bei Fischers Buch „handelt es sich wohl immer noch um die anregendste, kaum verzichtbare Gesamtdarstellung zum Werk des Künstlers“, doch gleichzeitig erschien das Büchlein „Max Beckmann. Die Tradition als Problem der Kunst in der Moderne“ von Hans Belting, der sich von Fischers Überlegungen distanziert, wie vorher und später Klaus Gallwitz und Uwe M. Schneede.
Belting wendet sich gegen eine Einengung Beckmanns auf den: „malenden Denker“. Er behandelt ihn als einen, dort kursiv, „denkenden Maler, für den die Malerei immer das erste Problem war“. Weil er außerdem die Moderne im Fokus hat, fädelt er viele Fäden – ein ausgezeichnetes Buch – zwischen Künstler und Gesellschaft ein.
Das „transzendete Ich“ des Malers kommt zur Sprache, Belting erweitert die Quellen, aus denen Beckmann schöpfte, vor allem Schopenhauers Leiden und Läuterung werden bedacht. Es regiert die These: „Beckmann hat keine voll ausgebildete Kunsttheorie entwickelt und ebenso wenig eine Lebensphilosophie, die sich schlüssig interpretieren ließe.“ Das Programm des Künstlers sei fertig gewesen, „bevor Beckmanns metaphysisches Weltbild Konturen annimmt“.
Folgerichtig behandelt Belting Fischer nur als eine Quelle, die für extreme Details gehört werden könnte. Den permanenten „Geheimsinn“ leugnet er zugunsten anderer Bezüge – zum Beispiel der Kunst. „Kunst ist ohnehin Beckmanns Lebenssinn.“
Belting formuliert zwar, der Maler habe sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an der Geheimlehre „berauscht“. Indem er ihn über die Theosophie hinaus im synkretistische Zeitdenken verankert, akzeptiert er zwar Beckmanns „tranzendentes Ich“ als „Erlösungsmetapher“ für das moderne Ich, schätzt aber den Einfluss dieses Denkens auf das Werk gering.
Blavatzky und Konsorten, das sei nicht als direkter Einfluss zu werten, sondern als parallele Zeiterscheinung. Überraschend wird dann aber geschlossen, Beckmann rede gewissermaßen immer doppelstimmig. „Der Riß geht durch viele seiner Werke. Er verlangt dem Betrachter immerzu eine Entscheidung ab, wie weit er Beckmann folgen will.“
Im Jahre 2011, in einem kleinen Text für den Basler Katalog, mag Belting dem Maler nicht einmal mehr bis zum transzendenten Ich folgen. Es spielt keine Rolle mehr. Belting folgt seiner These über die Landschaften des Malers, kursiv dort: „In ihnen verzichtet er auf die ikonografische Erzählung der großen Mythen, um sie durch eine biografische Inszenierung der Welt zu ersetzen.
Damit sind die Landschaften gründlich vereinfacht. Seine These hindert Belting nicht, wenige Zeilen später Beckmann zu zitieren, der eine Landschaftsbegegnung skizziert: „Dann verdichten sich die Formen zu Dingen, die mir verständlich erscheinen in der großen Leere und Ungewißheit des Raumes, den ich Gott nenne.“
Die Basler Ausstellung versammelte grandiose Bilder, in denen die Götter als Tiefe und als Wolkenmacht oder als Sonnenerscheinung ordentlich Getöse anstellen. Das große Gegenüber ist überaus oft auch das Außen eines engen Innenraums mit versperrtem oder schiefen Ausblick. Das traditionelle Innen-Außen eines Fensterbildes verlangt bei Beckmann eine erweiterte Dimension.
Wie erwähnt, die „kosmische Dimension“ wird an mehreren Stellen des Kataloges genannt. Nina Peters Überschrift beginnt sogar mit dem Zitat: „Heimatgefühl im Kosmos“. Doch dass wir das wörtlich verstehen müssen, und dass das Folgen hat für die Konzeption von Ich und Welt dieses Malers, davon ist nicht mehr die Rede. Ein besonders schönes Beckmannzitat, das Nina Peter bringt, sei hier eingefügt:
..Los doch zeige doch einmal deine Kräfte, daß man darin umzukommen meint. Spiele einmal wieder deine Urweltsymphonie. Bei deren Klängen mir all das Komische und Kleine versinken soll. Da, na ja ich danke dir für das fahle Leuchten, aber mehr, stärker. Du siehst daß ich warte. Ich warte auf den Riß von oben in der grauen Decke, durch welchen ich hineinsehen kann in die Unendlichkeit. Nein er will nicht. Bloß der Regen rauscht noch stärker und ich sitze hier mit meiner ungestillten Sehnsucht“.
Alles auf Abreise gestimmt
Verständlich ist mit diesen Scheuklappen, dass Belting das dunkelolive Bild „Der Hafen von Genua“ (1927) zwar als „Programmbild“ bezeichnet, aber wie schon 1984 gar nicht erreicht. Er behandelt es im Rahmen der Kunst und als Hic fuit eines Ichs in der Welt: biografische Inszenierung.
Den über die Rückenlehne eines Stuhls geworfenen Schal versteht er als Präsenz des Ichs, also naiv-situativ. Dass dort jedoch abermals ein Vorhang ein Bild verhüllt, wieder einmal ein typisches Oval, wird übersehen. Keine Beachtung findet die Ikonographie der Abfahrt, die einer engen Ich-Zone gegenübersteht: draufsichtig herangerückt, rücken Bahnhof und Hafen unheimlich nahe.
Wenn man jedoch Beckmanns theosophisches Weltverständnis Ernst nimmt, schreit alles in diesem Bild nach Transit ins Jenseitige, inklusive der verhüllten Unendlichkeit. Es spiegelt den Moment einer diesbezüglichen Ahnung, vielleicht sogar der melancholischen Sehnsucht danach in einer warmen Nacht. Das Ziel ist der schwarze Horizont.
Kurios ist, nebenbei, dass zehn der 20 Abbildungen, die dem 1984er Büchlein von Hans Belting beigegeben worden sind, die „Signatur“ der theosophischen Denkart Beckmanns enthalten. Es sei jedoch das „Mysterium in der empirischen Welt, die dem Maler Rätsel genug ist“, schrieb Belting darin.
27 Jahre später kann er sich diese abwehrende Bemerkung gegen Friedhelm Wilhelm Fischers Konzeption sparen. Dessen Bücher – 1990 noch einmal aufgelegt – tauchen nicht einmal mehr im Literaturverzeichnis auf.
Folgerichtig wird Beckmanns grandiose „Große Gewitterlandschaft“ (1932) in Basel nur als Bild einer Zeitgenossenschaft interpretiert. In den Formen der Äste ist ein bedrohliches Hakenkreuz gesehen worden. Die Nationalsozialisten steigen auf (war das für Beckmann 1932 ein Problem?).
In dunkler, durch unwirkliches Seitenlicht auf eine Leiter erhellten Szene liegen zwei unkenntlich typisierte Gestalten unter einem umgestürzten Baum. Der metaphysische Gehalt der Leiter ist eindeutig. Sie symbolisiert Flucht oder Übergang in die jenseitige Welt.
Allerdings scheinen sich etliche Äste des gestürzten Baumes an ihrem Ende wieder nach oben zu strecken, aus ihnen, so scheint es, versucht neues Leben zu sprießen. Totes und Lebendes Holz, da war doch mal was? Beckmann malt einen gestürzten Lebensbaum.
Der Baum des Lebens im kabbalistischen – theosophischen – Sinne sind die zehn Sephirot – aus denen sich übrigens das Unendliche Eine ausbildet, das Beckmann in vielen anderen Bildern variiert. Mit anderen Worten, mit dem zehn-, oder elfarmigen Baum hat Beckmann versucht, ein weiteres in der Geheimlehre der Blavatzky präsentes Symbol zu vergegenwärtigen.
Die Ohnmacht der Wesen unter dem Baum würde in dieser Dimension erst grundsätzlich. Das würde die Zeitgenossenschaft schärfen, Aber wenn das Werk auf die Biografie und die Rätsel des realen Lebens geschrumpft wird, muss diese Dimension Beckmanns übersehen werden, ich nenne das Beckmann light.
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