„Ein Volk glaubt an sich, das nicht mehr an sich glaubte. Und sein Glaube macht es schön.“

Beckmann 1935, ein Exkurs über die Unzulässigkeit von Schwarz und Weiß, verbunden mit der Bitte um historische Genauigkeit. Hans Belting schrieb 1984: „Es ist wie eine Ironie der Geschichte, daß die Angriffe gegen die ‚entartete Kunst’ auch Beckmann galten.“ Ist das korrekt oder nur ein schillernder erster Gedanke? Allerdings hatte Beckmann noch einige Jahre nach 1933 gehofft, er werde in Deutschland wieder Anerkennung finden.

Das „Familienbild Heinrich George“ und das „Bildnis Rudolf G. Binding“ (beide 1935, Binding nur im Katalog „Von Angesicht zu Angesicht“) regen an, über Beckmanns damalige Stellung nachzudenken, zumal der Leipziger Katalog einen Aufsatz von Barbara C. Buenger enthält: „Dem Dritten Reich ins Gesicht sehen. Berlin 1933-1937“.

Das George-Bild ist wohl initiert worden von einem Bühnenerlebnis des Schauspielers im gleichen Jahr. George war wieder arriviert, man erinnere sich: Es hatte da kurz zuvor eine harsche Wende gegeben, die schließlich nach der Karriere im „Dritten Reich“ zur Internierung Heinrich Georges 1945 führte.

Der Schauspieler war seit der Weimarer Republik berühmt, und man wusste ihn politisch ganz links. Er sprach auf Kundgebungen der Kommunisten, streikte mit ihnen. Er war gerade erst der Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“, er hatte früher, am Theater, mit Brecht und Piscator gearbeitet.

In Amerika konnte er nicht reüssieren, die Nazis stellen ihn kalt (in diesem Zusammenhang sei das einmal so formuliert). Bis er sich arrangiert, bis er in „Hitlerjunge Quex“ praktisch seine eigene Bekehrung zum Nationalsozialisten spielt.

Wie immer man diesen Schauspieler verurteilt oder verteidigt, die Diskussion muss nicht neu begonnen werden – doch es wäre besser gewesen, der Katalog der Leipziger Ausstellung hätten sich etwas näher an die Situation 1935 herangetraut. Er macht stattdessen den Eindruck, etwas zu unterlassen, um Widersprüche zu beschwichtigen – was auch für das Porträg Bindigs gilt.

Im November 1933 schreibt George, abgedruckt im Völkischen Beobachter, an Goebbels: „ Ich muß, verzeihen Sie die Kühnheit, Ihnen sagen, daß ich, wie von einem Alp befreit, aufgeatmet habe, als unser Führer, unser großer Volkskanzler und seine Regierung, der  Welt wieder einmal in klarer, göttlicher Eindeutigkeit die Antwort auf scheinbar Unlösbares gegeben hat und somit den ersten Spatenstich in die Herzen von Millionen unerweckter Volksgenossen diesseits und jenseits der Meere tat.“

George war ein Symbol der Anpassung. Der Neuberliner Max Beckmann hat dies ignoriert. Er fand es gewiss nicht nachahmenswert, aber er hat es toleriert. Man lebte in einer Übereinkunft, dass gewisse Kompromisse gemacht werden müssen. Schwarz war nicht schwarz und Weiß nicht weiß.

George soll Otto Dix nach dessen Rauswurf in Dresden angeboten haben, Bilder von ihm zu vermitteln. Der Prinzipal des Schillertheaters ist für verfolgte Kollegen eingetreten. George und Beckmann sollen über die Emigrationspläne des Malers gesprochen haben (aus wohlwollender späterer Quelle). Dieses Gesprächsthema wird von Jan George im Leipziger Katalog ebenfalls erwähnt. Der Enkel nennt die grünen Anstriche auf dem Programmzettel auf dem Boden der Porträtszene als typisch für Goebbels. Darauf sitzt die große böse Dogge, gebannt vom Zeichen des Jungen gegenüber: Systemkritik!?

Im Porträt Georges kommen also zwei Perspektiven zusammen: die des noch misstrauisch beobachteten Konvertiten zum Nazigünstling, der sich von einem diffamierten Maler porträtieren lässt – und die umgekehrte Perspektive.

Beckmann war 1933 im April aus dem Lehramt in Frankfurt entlassen worden. Seine Bilder wurden in die Depots geräumt, er wird nicht mehr ausgestellt, nicht genannt. Die Hoffnung auf bessere Zeiten hat Beckmann in Deutschland gehalten. Politisch habe sich nichts verändert, man müsse abwarten, schrieb er im September 1935 in einem Brief.

Von heute aus scheint es nur leicht, diese Jahre moralisch zu ordnen. Das politische Spektrum war sehr rauh, der Nationalsozialismus hatte zunächst etliche Facetten jenseits der NSDAP, weit weg von SA und Hitler. Zu den treuesten Freunden Beckmanns bis ins Amsterdamer Exil und weiter gehört Lilly von Schnitzler, eine Sammlerin der „entarteten“ Kunst.

Mit ihrem Mann, einem IG-Farben-„Betriebsführer“, wie er im Katalog etwas irritierend genannt wird, lud sie wie vordem schon in Frankfurt am Main zu einem gut beleumdeten Salon. Beckmann hat profitiert von dem Zirkel bekennender Hitler-Anhänger. Man hatte damals ohnehin keine Chance – man war überall von ihnen umgeben.

Im Katalog der Leipziger Ausstellung findet sich ein Porträt von Rudolf Binding, ebenfalls 1935 gemalt. Der war, trotz seiner elitären Gesinnung, mit der er auf die plebejischen Nazis blickte, ein ganz schlimmer Finger. In dieser Hinsicht ist der Leipziger Katalog nebenbei doch etwas fahrlässig, worauf Psychiatriekenner T.M. hinwies.

Es darf nicht passieren, dass im Personen-Lexikon beim Eintrag Rudolf G. Bindig steht: „Sein Vater war ein renommierter Jurist, seit 1886 Strafrechtsprofessor an der Universität Basel, dann ab 1873 Dekan an der juristischen Fakultät in Leipzig.“ Dort müsste stehen: Sein Vater war der renommierte Jurist Karl Bindig, der als Verfechter der Euthanasie entscheidend zur Barbarisierung des öffentlichen Bewusstseins beigetragen hat.

Gerade weil Bindig absolut renommiert war, hatte seine Rechtfertigung der Euthanasie katastrophale Wirkung. Vorher war der Sozialdarwinismus marginal, nach Karl Bindig (1920, Mitautor der Psychiater Alfred Hoche) ein modernes, wenngleich umstrittenes Wissen. Mehr noch: Mit der Erweiterung der Euthanasie-Vorstellungen von der legitimierten Tötung von Todkranken auf die geistig „lebensunwerten Leben“, auf die „geistig Toten“, schuf Binding die Grundlage einer gleichsam juristisch bestätigten Euthanasie des kommenden „Reiches“.

Dabei spielt keine Rolle, dass die Kritierien des „lebensunwerten Lebens“ damals noch voraussetzten, dass das betreffende Leben nicht nur „Ballastexistenz“ für die Gesellschaft sei, sondern auch „unwert“ für die „Lebensträger“ selbst.

Dafür kann sein Sohn Rudolf G. Binding (1867-1938) nicht. Der war nach einer kurzen Militärkarriere ein berühmter Schriftsteller geworden. Er schrieb populäre Bücher über die Liebe, feierte aber auch die schauderliche „Größe“ des Krieges, just als Max Beckmann seinen Zusammenbruch davon auskuriert.

Er war ausgesprochen völkisch gesinnt, ein Repräsentant der gleichgeschalteten Akademie, ein Scharnier der Nazis zum Großbürgertum. „Wir die Dichter des Krieges – daß es nur einmal gesagt sei – wünschen daß der Nationalsozialismus verwirklicht werde. Freilich in jener reinen Gestalt und Form wie wir sie in jedem Wort des Führers fühlen und empfangen.“ (nach Spiegel 13.11.1957, ein Internetfund) In diesen Sätzen steckt Distinktion, zweifellos.

Vollends unrühmbar aber machte den edlen Geist mit den Gebaren eines Dandys seine „Antwort eines Deutschen an die Welt“, ein Entgegnung auf Romain Rollands erschreckten Mahnruf nach den Bücherverbrennungen 1933. Binding beschwört die nationale Aufwallung in den deutschen Landen, auf dass ein neuer Geist endlich die Schmach des Versailler Vertrages beende. „Ein Volk glaubt an sich, das nicht mehr an sich glaubte. Und sein Glaube macht es schön.“

Allerdings: als Funktionär der Akademie trat er für Thomas Mann und Herrmann Hesse ein. Zwar bekannte er sich zum Antisemitismus, lebte aber mit der Jüdin Elisabeth Jungmann zusammen, die er wegen der Nürnberger Gesetze nicht heiraten durfte. Er zog sich 1935 an den Starnberger See zurück und war Anfeindungen ausgesetzt (er starb 1938).

Für Rudolf G. Binding könnte es eine Geste der Unbeirrbarkeit gewesen sein, als er sich von dem diskreditierten Max Beckmann porträtieren ließ. Wie Beckmanns Bild der Familie George spiegelt es die merkwürdige unentschiedene Zwischenzeit der NS-Herrschaft, jedenfalls für diejenigen, die man nicht Gegner nennen kann.

Comments are disabled for this post