„Mit meiner Persönlichkeit renn ich wie unsichtbar umher…“

 Seit früh an verstellt Max Beckmann sich, er fühlt sich unverstanden und bleibt es offenbar gern. Eigene Erklärungen verweigert er meist. Die Werke  dürfen jenseits von Beckmanns Intention für das genommen werden, was „rein bildlich“ in ihnen steckt. Diese Offenheit der modernen Realisten ist ein interessantes Phänomen. Rubens, Rembrandt oder Goya hätten sich entrüstet!, aber das ist jetzt nicht das Thema.

Im Januar 1909, nach einem Besuch des befreundeten Maler-Paares Sophie und Wilhelm Schocken, eine Reproduktion der „Jungen Männer“ Beckmanns hängt an der Wand und wird bewundert, schreibt er in sein Tagebuch:

„Es macht mich immer traurig, wenn ich so sehe wie wenig man doch verstanden wird. (…) Es ist doch komisch daß allen Leuten immer das Unpersönlichste am besten gefällt. Mit meiner Persönlichkeit renn ich wie unsichtbar umher… Da hab ich nun die Kreuzigung die Schlacht die Akte die Sintfluth die Auferstehung etc etc gemalt aber nein die jungen Männer am Meer. Na – – –“.

Etwa 37 Jahre später, er ist 60 Jahre alt geworden und hat Herzprobleme, schreibt er in Amsterdam in dem ihm eigenen dialogischen Tagebuchstil:

„Ad infinitum segeln ohne Fuß – ohne Ziel – welch merkwürdiger Einfall ! Welch grausame Fantasie – immer warten, ob sich nun das Geheimnis entschleiern wird und immer mit dummem Gesicht vor dem grauen Vorhang sitzen, hinter dem die Geister rumoren oder auch das Nichts… Glaubst Du an einen Sinn des Rummels, wirst Du aber immerhin zugeben, daß es doch eine Leistung ist, aus dem Nichts ein Vorstellungsgeflecht zu schaffen, was immerhin alles in einer stetig gesteigerten Spannung erhält? ‚Geht aber nur durch ein Versteckspiel Deines Selbst’ – Alles um Euch zu unterhalten.“

Spätenstens 1918 hat er die esoterischen Weltbilder – auch durch Schopenhauer – für sich entdeckt. Die Radierung „Auferstehung“ aus der Serie „Gesichter“ kulminiert über dem hohen Horizont schon in einem schwarzen Planeten, rechts dreht sich das Rad der Ewigkeit, in seinen Saturn verwandelt.

Auch über der Figurengruppe im Gemälde „Fastnacht“ (1920) bringt Beckmann sein Signum des Unendlichen an, den saugenden Trichter, dessen Öffnung hier noch ein farbliches Echo des freien Regenbogen-Weltfächers dahinter ist.

Diese typischen Ovale und Kreise Beckmanns, Spiegel, Stuhllehnen, die Öffnungen von Instrumenten, teilt er in den frühen Jahren öfter als später. Friedhelm Wilhelm Fischer machte darauf aufmerksam, wie wichtig Beckmann diese Form ist, darauf, dass das geteilte Rund auf eine Variante eines En-Soph-Symbols zurückgeht, in der Himmel und Erde gemeint sind, zusammen als das Nicht-Endende-Eine.

(Es ist zu lange her, dass ich das gelesen habe, genauer kann ich es hier in der Kürze nicht angeben: F.W. Fischer: Max Beckman – Symbol und Weltbild. Grundriß zu einer Deutung des Gesamtwerkes, 1972)

Diese „symbolische Form“ wird im Bildnis der „Rumänin“ eingebracht, ebenso bei Frau Porada, beim Reber-Porträt. Sie taucht im Familienbild von 1920 auf, natürlich in dem fliegenden Akrobatenpaar. Sie ist nie Dekoration, später, bei „Vor dem Kostümfest“ (1945) wird sie heimliches Thema.

Das schwarze Rund, früh auch als rotes (Selbstbildnis als Clown), das durch die Fläche der Malerei in die Tiefe einlädt, ist die heimliche Signatur des Malers, der damit das Weltverhältnis seiner Bilder grundiert. Selbstverständlich ist es erst einmal eine Form, die fasziniert, die Spannungselemente aufweist. Doch Beckmann weiß, Was er formt und formt es bewusst und liebend gern. Später bringt er gern schwarze Kanten des Nichts ein.

Im wunderbaren Bild „Vor dem Kostümfest“ (1945), eins der schönsten Bilder in der Leipziger Ausstellung, betrachtet sich eine Frau – sehr intensiv, sehr ernst – im Spiegel. Ein sinnliches Fest der Malerei, eine Lust mit einer aufregenden Szene, denkt man, aber eben: nur Karneval.

Doch das ist ein Irrtum. Beckmann hat dort – in der 2/3-Mitte des Schönen Schnitts – die Tiefe der Unendlichkeit inszeniert. Die rechte Frau hält den Spiegel exakt dort. Ein Spiegel ist besonders geeignet, als En-Soph-Symbol zu dienen.

Denn ganz sicher wurde in einem der synkretistischen Bücher, die Beckmann gelesen hatte, mitgeteilt, dass das En-Soph ein Zeichen für den Urgrund natürlich auch aller Farben ist, selbst aber keine besitzt. (Man sehe die Farbbögen in der „Fastnacht“ von 1920.) Schon Kabbalisten der frühen Neuzeit, kann man bei Gershom Scholem lesen, wendeten den Spiegel dafür an: er hat keine Farbe, spiegelt aber alle anderen.

„Vor dem Kostümfest“ in den Spiegel des Einen Undendlichen zu schauen heißt vor der Verwandlung, vor dem Moment, in dem man seine gegenwärtige „Rolle“ im Welttheater verlässt. Freilich: wir sehen nur Frauen, und eine schaut dazu in den Spiegel. Wer aber nur die Oberfläche sieht, verpasst eine – die emotional entscheidende – Dimension des Beckmannschen „Circus“. Mit seiner Persönlichkeit rennt Beckmann „wie unsichtbar umher“.

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