Die optische Industrie ist optimistisch

Vom Cybersex liest man, er wäre vollends zur Webcam geschrumpft oder würde als USB-Dildo gehandhabt werden, was sehr nach Stagnation klingt. Viel mehr war erhofft worden von der virtuellen Bilderwelt, die eben mehr ist als Bild, sondern Welt. Gleichwohl fasziniert bei der Entwicklung der Bildwelt, wie sehr sie – und nun mit Macht – ins Räumliche tendiert. Gehörte ein Bild früher per se zum Gegenüber, das sich mehr oder weniger realistisch, mehr oder weniger abstrakt der üblichen Welt als Symbol gegenüberstellt, so wird diese Schranke in den 3-D-Bildern versucht, aufzuheben. Schon Fotografie und Film haben ja grundsätzlich diese Richtung. Dem Betrachter wird suggeriert, er wäre dabei, das Bild lädt in seinen Raum ein, nun machtvoll als Massenkultur. Ob das etwas für die Zukunft von „Bildern“ im kognitiven Sinn bedeutet, für jene Auszeichung des homo pictor, nach Hans Jonas? Welche Frage würde sich stellen – ohne sie himmelhoch zu überspannen? Gedankenwechsel: Was aber wäre, wenn Blicke töten lernen könnten? Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe entwirft dem Kunstfest Weimar eine „Vision. Das Sehen“. Laut Peter Weibel, der sie mit dem Leiter des Museums für Neue Kunst am ZKM, Andreas Beitin, zusammengestellt hat, ist dies die bisher avancierteste Schau zur Zukunft des Sehens überhaupt. Ein verkürzter Nachtrag.

Tatsächlich stehen am Ende des Rundgangs durch das obere Geschoss des Neuen Museums in Weimar mit der sensorischen Substitution des Auges durch andere Sinnesorgane und mit der Visualisierung von quantenphysikalischen Dimensionen bisher ungesehene Dinge. Das Sehen und der Mensch? Die Monitor-Welt scheint die Augen zu überfordern, die optische Industrie ist optimistisch. Das ist vielleicht anthropo-logisch: die Spezies sehschwach am Teleskop. Der Mensch wird das Auge apparativ so aufrüsten, sagt Peter Weibel voraus, dass sich sein Gehirn im Wortsinne vor ganz neue Anforderungen gestellt sieht – und sich entsprechend entwickelt.

Vor der Vision der Rückblick zur Op-Art. Umspielt werden das farbmischende und trennende Sehen, die bi-okulare Prägung des Menschen und die Tatsache, dass Licht nur auf Projektionsflächen sichtbar ist (Ecke Bonk, Alfons Schilling, Giovanni Anselmo). Lichtfarben-Linienzeichnung an Prismen und Farbflächen-Tänze locken mit schönen Bewegungen und der Faszination des zerlegten Lichts. Sie sind teilweise (Alberto Biasi) aus der großen Ausstellung „Lichtkunst aus Kunstlicht“ 2005 in Karlsruhe bekannt.

Es werden Hologramm-Klassiker gezeigt, räumliche Computeranimationen, eine Tanzperformance in 3D. Interaktiv kann man mit seinem Schatten oder seiner Laserspur tanzen, mit den Pupillenbewegungen Landschaften bauen und einen Raum färben. Diesen Installationen liegen qualifizierte Fragen zugrunde – wie die Loslösung der Schatten von ihren Urhebern, die Aktivität des Sehens als Produktion – doch sie sind befangen in ihrer Technik. Allerdings ist diese Unschärfe der Ausstellung zwischen Kunst und Wissenschaft gewollt: Es geht um das Sehen.

Als Kunst fasziniert am meisten Ruth Schnells Lichtobjekt. Sie lässt in einer diffusen Nachtbildaufnahme aus dem Balkankrieg einen handspannenhohen LED-Stab grün aufflackern. In ihm sind hundert Worte und Zahlen aus diesem Krieg programmiert. Man geht vorbei, man sieht nichts – bis man wegschaut. Das Auge kann die Informationen nur dann – und nur als Fetzen – erfassen, wenn der Betrachter sich wegwendet. Denn mit der Bewegung des Auges fallen die Lichtwellen auf mehrere Punkte der Retina, nur dadurch kann das Gehirn sie, als Nachbild, erfassen. Die „Sichtbarkeit“ jenes ersten „virtuellen“ Krieges wird erinnert. Das Lichtobjekt verlockt immer wieder, mehr erkennen zu wollen, und wieder und wieder sind nur Fragmente zu erhaschen.

Die Ausstellung kümmert sich überwiegend um die Technologie des Sehen. Ein psycho-physiologisches Projekt der unbewussten Wahrnehmung von Architektur wird dokumentiert. Leider erfährt man nicht mehr über jenes dunkle Feld, von dem wir nur wissen, dass es existiert: Wie durch Stimme und Tonfall die Sprache viel mehr mitteilt, als sie sagt, übermitteln auch die Augen viel mehr Informationen, als bewusst wird. Und, nebenbei: ist eigentlich das Problem des Gespürs für Blicke von hinten – im wissenschaftlichen Versuch bestätigt – inzwischen aufgeklärt? Das Sehen hat noch so manchen blinden Fleck.

Am Ende des Rundgangs warten das sogenannte Quantenkino – die Übertragung quantenphysikalischer Dimensionen in die räumlichen Projektionen abstrakter Video-Formen. Schöne Bewegtheit, im Wortsinne auch ein Kal-eidos-skop, doch dem Laien nicht nachvollziehbar, – sowie die Dokumentation der Ersetzung eines Sinnesorgans durch das andere. Im Film sieht man eine Frau, deren Brille eine Kamera ist. Die leitet bestimmte Signale per Kabel an die Zunge. Die wiederum schickt die Reize ans Gehirn – ein Sehen in etwa halber TV-Schärfe soll damit möglich sein. Mit den Worten von Peter Weibel: „Das Auge ist nur ein Pförtner…“, es gibt andere Türen zum Sehen. (bis 16.10.2011)

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