Wie ein schwarzer Schatten weißwaschen kann
Wofür braucht Leipzig ein Richard-Wagner-Denkmal? Es hat doch schon eins: das Völkerschlachtdenkmal. Nein, im Ernst: Die Jury hat sich für einen Entwurf von Stephan Balkenhol entschieden. Ein untersetzter Richard Wagner steht in Bronze, recht klein, auf dem Koloß mit Figuren nach Entwürfen von Klinger. Hinter der Figur des Komponisten, farbig gefasst in vage zeitgenössischer Tracht, ragt auf vier Meter Höhe ein dunkler Schatten auf, eine Silhouette Wagners aus späteren Lebensjahren.
Zitat Wagner-Denkmal-Verein: „Wenn die zeitgenössische Skulptur dann auf dem klassischen Klinger-Sockel errichtet wird, ist ein Kunstwerk geschaffen, das in diesem Kontrast auch ein Stück schwieriger Wagner-Denkmal-Geschichte widerspiegelt.“ Das ist zweifellos wahr. Die Vorarbeiten von Max Klinger kommen mit der lässigen Moderne zusammen. Aber war da nicht noch etwas mehr, und durchaus eklatant?
Am 5. Februar 1937 schreibt der damalige Oberbürgermeister Haacke an den Enkel von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Felix Wach, der sich nach dem Verbleib des abgerissenen Mendelssohn-Denkmals erkundigt hatte: „Leipzig ist eine Musikstadt. Vergangene Geschlechter habe es nicht fertiggebracht, dem größten Musiker und Dichter dieser Stadt, nämlich Richard Wagner, der erfreulicherweise auch scharfer Antisemit war, ein Denkmal zu setzen. Man hat aber ausgerechnet an hervorragendster Stelle vor dem berühmten Gewandhaus einem Juden ein Denkmal gesetzt. Dies war für jeden Nationalsozialisten untragbar.“
Hitler machte sich die neuen Pläne, die 1933 zum 50. Todestages verkündet wurden, zu eigen. Eine typische NS-Architektur entwarf Emil Hipp für den etwa 150 mal 80 Meter großen „Hain“, 250 000 Tonnen Marmor wurden verplant. Immer wieder gab es Verzögerungen, am Ende hoffte man, das „National-Denkmal des Deutschen Volkes“ bei den Kriegs-Siegesfeiern einzuweihen.
Ist es unfair, den Zusammenhang der beiden Denkmäler herzustellen? Nein, es ist gerecht und notwendig. Gewiss ist Richard Wagner nicht verantwortlich zu machen für alles nach ihm. Doch ein Denkmal tritt in andere Historienschübe ein als die ambivalenten Künste Musik und Dichtung. Ein Denkmal erneuert Rezeption, erneuert Tradition. Wagners Mythenschwulst ist interpretierbar, die Verwendung seines Siegfrieds bei den Nazis nicht. Ein Denkmal symbolisiert immer beide Sphären. Es ist etwas anderes, Wagner zu hören oder ihm ein Denkmal zu errichten. Die Musik kann man lieben oder ablehnen, ein Denkmal enthält apriori die ganze Geschichte, paradoxerweise auch, wenn sie darin fehlt.
Leipzig zieht sich mit der naiven Wendung aus der Geschiche, es sei an den jungen Richard Wagner zu erinnern, der sei in Leipzig geboren, sei hier aufgewachsen. Mit Verlaub: Gerade der verwandelte sein Gefühl der Ausgrenzung durch die „Clique“ in Leipzig, die nur Mendelssohn anhimmelte, in einen Hass auf das „Judentum in der Musik“. Zu Lebzeiten Mendelssohns konnte er ihm nichts anhaben, nicht einmal im Wilhelminischen Nationaltaumel, mit Wotanschinken und Rheingoldbier. Erst im 20. Jahrhundert wurde der nun größte deutsche Komponist gegen die Juden instrumentalisiert, und dabei muss man gar nicht behaupten, dass sich Hitler als Wagners „Vollstrecker“ verstanden hätte.
Im Sommer 1938 versucht der Direktor eines oder des College of Music in New York, Carl Hein, den Nazis das Mendelssohn-Denkmal abzukaufen. Er bietet das anderthalbfache in Bronze und Devotionalien, mit Expertise, dass sie aus der Villa Wahnfried in Bayereuth stammen. Er wusste, was die regierenden Musikfreunde liebten.
Dem Buch von Grit Hartmann (Forum-Verlag) über die Historie des Wagner-Denkmals in Leipzig ist eine weitere, geradezu schmerzlich dichte Verklammerung der beiden Denkmäler zu entnehmen. Metall war knapp in der Wirtschaft, die die Kriegsvorbereitung forcierte. Woher die Bronze nehmen, die den schweren Marmor an den Wänden hält?
Zwischen Bauamt und Bürgermeister wird verabredet, der Berliner „Überwachungsstelle für unedle Metalle“ die „Eigenspende“ der Mendelssohn-Bronze zu melden und um Freigabe des nötigen Quantums für Richard Wagner zu bitten. So muss es geschehen sein, denn ein Brief der Gießhütte Noack von 1946 an die Stadtverwaltung rechnet die Details ab. Nur gut, dass das Mendelssohn-Denkmal – als Neuguss – vor kurzem wieder aufgestellt worden ist.
Balkenhols Entwurf hat, man darf sagen, glücklicherweise, diesen 4-Meter-Schatten hinter der Figur. Der Bildhauer hat in seiner Entwurfsbegründung sehr zurückhaltend formuliert, der Schatten sei das Werk, die spätere Biographie, die die Person überdauern. Die Jurybegründung nennt die „ambivalente Rezeption“. Theoretisch könnte man sich zufrieden geben.
Durch die vorgeschriebenen Verwendung des Klinger-Sockels ist allerdings die Klammer zwischen dieser ersten, sehr verzögerten Bemühung um das Denkmal und den Bemühungen der Gegenwart sehr eng. Gerade weil das Denkmal die Zeitachse öffnet, wird die Fehlstelle darin unübersehbar. Das kann auch kein – gut interpretierbarer – Schatten ausgleichen. Die wie immer bei Balkenhol formal eher schlichte Figur ist sympathisch lax, doch sie stiehlt sich aus der Geschichte. Manchmal kann sogar ein schwarzer Schatten weißwaschen.
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