Oh heiliger Geist, im Fleische sind wir stark
Das letzte Mal sah ich Bernhard Heisig am 3. Oktober 2010. Zum Jubiläum der Wiedervereinigung hatte das Kunstforum Halle sich kurzfristig diesen Leipziger Maler für eine Ausstellung erkoren. Gut zum Anlass passte außerdem, dass die Bilder aus der Sammlung von Vera Schreck kamen, eine betagte und agile Kölnerin, die aus Halle stammt und erst seit den 90er Jahren Malerei aus ihrer Heimat sammelt. Dass ihr Hauptinteresse dabei auf Heisig fiel, kaum zu verschleiern ein Leipziger Maler, wurde zumindest an diesem freundlichen Vormittag in Halle toleriert.
Irritierend waren die Ansprachen. Denn der alte Maler, mit seinem Rollstuhl in die erste Reihe geschoben, lächelte höflich, wenn man sich ihm zuwendete – aber er verstand nichts. Es ist schon merkwürdig, wenn du da über jemanden sprichst, und spekulierst, wieviel Seeräuberjenny wohl in ihm stecke, und er sitzt gebrechlich in seinem Rollstuhl und versteht akustisch nichts – du sprichst über ihn hinweg. Ich hatte vorgehabt, einige Kraftausdrücke zu gebrauchen, die er mir vor Jahren bei der Autorisierung eines Interviews nachträglich wieder gestrichen hatte, als späte spaßige Rache – ich ließ es weg. Die Belustigung wäre nicht nur an ihm vorbei gegangen, sie hätte ihn, der sie nicht versteht, schwach und taub im Rollstuhl bekräftigt; es ist sowieso nie gut, wenn einer nicht mitlachen kann.
Zur Verabschiedung später wünschte ich ihm alles Gute. Er antwortete, wie er seit Jahren antwortete: Danke, ich kanns gebrauchen.
Theoretisch ist zu erwägen: Bernhard Heisig – 1925-2011 – ist fünf Jahre zu spät gestorben. Vor fünf Jahren wäre er als der ferne Übervater der neuen Malerei abgetreten. Doch der Boom der Malerei ist vorbei, sie darf wieder recht unwisch abgetan werden. Die Nachrufe sind davon schon geprägt. Die Malerei hat zwar Terrain gewonnen und behauptet es, aber, wie schon anderswo befürchtet, haben sich die ästhetischen Fronten nicht wesentlich verschoben. Zu viel steht auf dem Spiel.
In der Süddeutschen Zeitung hatte das eine hübsche Note. Es gibt gewiss etliche schlechte Bilder von Bernhard Heisig, aber das, was dort passierte, hat er nicht verdient. Die SZ brachte am Pfingstsonnabend einen recht politisch gefärbten, gut informierten Nachruf (von Cathrin Lorch) und illustrierte ihn mit einem Porträt des Malers im Atelier. Für einen anderen Artikel auf der gleichen Seite wurde ein, soweit lässt sich vom Foto her sagen, sehr mäßiges Bild von Gerhard Richter abgebildet. Formal so blass, dass man, insofern an guten Bildern interessiert, gar keine Lust mehr hat, sich auf die intellektuellen Volten einzulassen, die dem Werk Bedeutung verleihen könnten. Ob Heisig sich jemals solche Schwächen durchgehen ließ, ist zu bezweifeln, sie könnten als Richter eine Million Dollar Wert sein.
So spiegelte die Pfingstseite des SZ-Feuilletons die Verwirrung, die in der Kunstwelt herrscht, fast so gut wie der Artikel von Hanno Rauterberg in der ZEIT über die Biennale in Venedig: „Nie war sie so nackt wie heute“. Der Untertitel meldet: „Schlechte Kunst hat viele Gesichter. Auf der Biennale in Venedig lassen sie sich neu entdecken.“ Vielleicht darf nach der Lektüre seines Buches von 2007 etwas wundern, dass Rauterberg nun in einem Meer der Belanglosigkeiten vor allem den Kanonbruch positiv hervorhebt. Er hätte den Goldenen Löwen gern geteilt gesehen zwischen Schlingensief und dem italienischen Pavillon.
Dort wurde eine Mixture von 260 Kuratoren wie du und ich und von Prominenz jeglicher Milieus angerichtet. Gut beleumdete Stars in der Minderheit, überwiegend, „Plunder“, „Belanglosigkeiten“, die „direkt dem nächsten Kunstkaufhaus zu entstammen scheinen“. – „Hier wird für Biennale-tauglich erklärt, was sonst allenfalls die Schwelle zum Postershop überwindet.“
Gleichwohl sei mit diesem Pavillon der Anspruch erfüllt: „Er bricht mit den Erwartungen, derangiert die schöne klassische Ordnung und sprengt den allgemein akzeptierten Kunstkonsens. Eine geglückte Provokation, im Grunde die einzige dieser Biennale.“
Doch wenn man, was Rauterberg anschließt, den Plunder Werk für Werk betrachtet, stelle sich die Frage: Ist man „tatsächlich so weit ab von den Üblichkeiten des Kunstbetriebs?“ Denn „der Anteil an Nichtkunst auf vielen Biennalen“ sei nicht geringer, „ein nennenswerter Qualitätsunterschied ist nicht auszumachen“. Der „Banalisierung scheint weder hier noch dort Einhalt geboten“. – „Was unterscheidet die eine Billigkunst von der anderen?“
Worin besteht dann aber die Provokation des italienischen Pavillons? Sie besteht nur für den Betrieb selbst: Weil dort kein reflexiver Ideenkurator mit der Nicht-Kunst-Kunst und der Kunst-Kunst jongliert, sondern ein Kompagnon Berlusconis, der Autodidakten-Kuratoren eingeladen hat. Der renommierten Billigkunst wird der Spiegel der wertlosen Billigkunst vorgehalten, und sie erkennt sich. Selbst die Provokation ist eine innerbetriebliche.
Oh Pfingsten, oh du siebenfaltiger Gnadenschatz, was für eine Verwirrung. Da bleibt uns nur, wie sich Zwei erkennen, denn wie heißt es so schön im Kirchenlied: gib uns ins Herz der Liebe Brunft. In der Talkshow 3nach9 durfte Kurt Krömer seinen ersten Film vorstellen. Den mediengerechten Höhepunkt der Talkshow findet man im Netzt. Nach der Erwähnung des nackten Hinterns des KK, den der Film ansichtig macht, motivierte der charmante Moderator Giovanni di Lorenzo seine Kollegin Judith Rakers zu einem Bekenntnis. Sie habe in dem Film, gibt sie denn also bekannt, Kurt Krömer zum ersten Mal als potentiellen Sexualpartner wahrgenommen, was WELT-online ein „sehr intimes Bekenntnis“ nennt. Worauf Krömer in seiner unnachahmlichen Schnauze antwortet: Na, da haben sich die sechs Wochen Dreharbeiten ja gelohnt. Und eine pfingstliche TV-Abstinenz, sei hinzugefügt, auch. Oh heiliger Geist, bleibst du auch aus, im Fleische lebt sichs recht vital.
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