Ein Kritzelei-Motiv auf der Höllentafel des Gartens der Lüste und auf einem Holbein-Altar im Frankfurter Städel
Die Hölle des Gartens der Lüste ist eine ‚Vision nach Psalm 68’. Sollten noch Zweifel daran bestehen, räumt das hier ergänzte Detail sie aus. Ich hatte es schlicht vergessen, als ich die meine Ergebnisse im Ebook von 2016 zusammenfasste; es fehlt folglich auch in der englischen Fassung 2018.
In den besten früheren Interpretationen des Bildes wurde angenommen, die Hauptfigur der Hölle, der Baum-Mensch, sei von mnemotechnischen Abbildungen angeregt worden. Wie in solchen Gedächtnishilfen alle Haupt- oder Todsünden mittels diverser Details an phantastischen Tier-Hybriden versammelt sind, so verdichten sie hier den bösen Charakter des Baum-Menschen: eine Summe der Sünden.
Die Frage, ob dem Griff zu den Mnemogrammen nicht doch eine theologische Idee zugrunde gelegen haben könnte, eine inhaltliche, nicht nur ästhetische Motivation, führte auf die richtige Spur. Denn es gibt die rhetorische Figur der Schuld-Anhäufung bei der Verfluchung der Feinde, die den Knecht oder ‚Diener‘ Gottes im Psalm 68/69 bedrohen. Im Psalm heißt es: appone iniquitatem super iniquitatem eorum et non intrent in justitiam tuam. Die Lutherbibel formuliert: „Lass sie in eine Sünde über die andere fallen, dass sie nicht kommen zu deiner Gerechtigkeit.“
Die These, dass diese Psalmstelle den Baum-Menschen erfinden ließ, wird von dem Umstand bestätigt, dass sich wesentliche Teile von ‚Musikantenhölle’ und ‚Spielhölle’ im Lüste-Garten mit dem Psalm 68 wie von selbst erklären (zum Beispiel die ‚Kreuzigung‘ in der Harfe).
Ausschlaggebend ist dabei die Beziehung zwischen Psalm 68 und der Szene der Tempelreinigung in den Evangelien. Vers 68,10 lautet (Hervorhebung von mir): ‚Denn der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt;/ die Schmähungen derer, die dich schmähen, haben mich getroffen.’ Bei Johannes 2,17 im Bericht von der Tempelreinigung heißt es: „Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ Sowohl Psalmkommentare als auch Auslegungen des Johannesevangeliums stellten folglich diesen Zusammenhang im Eifer her, wie zum Beispiel Tarald Rasmussen dargestellt hat (Inimici ecclesiae…, Leiden u.a. 1989).
Praktiziert wird dies im Garten der Lüste über Psalmvers 68, 23: „Der Opfertisch werde für sie zur Falle, das Opfermahl zum Fangnetz.“ Ältere Psalm-Illustrationen zeigen dazu einen umgestürzten Tisch. Ebenso finden sich bekanntlich umgestürzte Tische auf Darstellungen der Tempelaustreibung nach Johannes 2,15-17. Dort wird die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel durch Christus beschrieben: „… das Geld der Wechsler schüttete er aus und ihre Tische stieß er um.“
Auf diesen Tisch spielt der Tisch in der Hölle des Gartens der Lüste an, wie der Vergleich mit einer Bildgruppe aus der weiteren Bosch-Nachfolge anzeigt (Glasgow Kelvingrove Museum 1570-1600, Detail):
Man sieht im vorn offenen Tempel Christus, vor dem ein bärtiger alter Wechsler gebeugt flieht. Er hat einen Geldsack in der Hand und eine Tischplatte, etwa vom Format der Platte in der Lüste-Garten-Hölle, schräg umgehängt.
Auch den runden Tisch auf dem Kopf eines weiteren Wechslers kann man im Garten der Lüste wiederfinden – auf dem Kopf des Baum-Menschen. Auch wenn das jüngere Glasgower Bild sich für diese Motive ganz woanders bedient hätte, darf die doppelte Parallele wohl als Beleg für den Zusammenhang zwischen Psalm 68 als Höllensound und Austreibung der Wechsler gewertet werden – weil die theologische Grundlage es nahelegt, die den jeweiligen Eifer wechselseitig aufeinander bezog.
Dafür sei hiermit ein weiterer Beleg nachgeliefert. Am Tisch in der Hölle des Lüste-Gartens ist unter anderem Gekritzel eine Notiz aus langem Querstrich und vier Parallelen zur Notiz einer Summe 5 zu erkennen.
Das gleiche Zeichen erscheint auf einer weiteren ‚Austreibung aus dem Tempel’. Es handelt sich um Hans Holbein des Älteren Dominikaneraltar im Frankfurter Städel.
Ob es in beiden Zusammenhängen dasselbe bedeutet, ist fraglich. In einer Szene der ‚Vertreibung der Geldwechsler / Händler’ aus dem Tempel erscheint eine Notiz einer Zählung verständlich. Als Anspielung konkret darauf würde die Fünfersumme im Lüste-Garten recht unmoduliert und also additiv erscheinen. Vermutlich soll sie dort etwas anderes bedeuten, passend zum Thema der Fünf Sinne: dass die Summe der Verfehlungen in diesen Fünf Sinnen erfüllt sei.
Es darf wohl als bestätigt gelten, dass die Höllentafel des Gartens der Lüste auf eine ‚Vertreibung der Geldwechsler / Händler aus dem Tempel’ bzw. ‚Tempelreinigung’ anspielt. Sie muss vor allem aufgrund der oben notierten exegetischen Verbindung aufgrund des Eifers bei Vertreibung und im Psalm als eine ‚Vision nach Psalm 68’ verstanden werden. Die antijüdischen Konnotationen, die damit einhergehen, dürfen im allgemeinen Schwelgen über die phantastischen Höhenflüge des Jheronimus Bosch nicht übersehen werden.
(siehe Hieronymus Bosch’s The Garden of Earthly Delights. The Senses and the Soul in Dream and Awakening, pp. 113-120, siehe auch hier)
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