Zum Gruseln – oder hilflos: Wie es war, ist es nicht gewesen

Mein Lieblingszitat des späten Heiner Müller, 1991, nach der Enttarnung Sascha Andersons, nicht verbürgt, ob wörtlich: ‚Vielleicht hat die wahre Zeit der Stasi erst begonnen.’ Die Ausstellung ‚Kandidat’ im Museum der bildenden Künste in Leipzig bestätigt es.

Drei Wände hoch werden die Akten zitiert, wie Klaus Hähner-Springmühl ‚zersetzt’ werden sollte, und so weiter. „Negativ-feindliche Kräfte orientieren sich an Hähner-Springmühl, sie sehen in seinen Kunst-Äußerungen eine Protesthandlung zur soz. Gesellschaftsordnung.“ – „Durch offensive operative Kontrollmaßnahmen ist vorbeugend zu verhindern, daß er im feindlichen Sinne wirksam wird.“

Ungeheuerlich genug, ist mir gar nicht geheuer, die Ausstellung dieses letzthin unglücklichen Mannes von diesen Zitat-Hämmern erschlagen zu sehen. Leben und Werk-Auftritte, Musik und Performance als grandioser ‚operativer Vorgang’? Da haben die also doch gesiegt? Bei Hähner-Springmühl, bei dem vor allem Party war? Davon lebte er; später dann, nach der Stasi, war Einsamkeit, in der er gestorben ist (1950-2006).

Zwei mal habe ich den stillen Riesen getroffen, von einer Begegnung in der Galerie Weißer Elefant in Berlin habe ich noch einen damals ganz frisch getuschten blauen Elefanten, ein A5-Blatt mit gewisser Poetik, wie es sie in der Leipziger Ausstellung nicht gibt.

Die Stasi-Sprache ‚in Sätzen‘ wirkt besonders unglücklich, weil die ganze Existenz Hähner-Springmühls abgebrochene Geste ist, Stammelei, Auskehr der Aktion und der Welt zum Müll. Zuweilen durchaus beeindruckend, aber wie gesagt: Geste, höchstens Zeichen, niemals Symbol, kaum Wort. Dagegen sind die auch ausgestellten sechs Notat-Blätter aus den einsamen letzten Jahren (1998) mit den lesbaren Ausrufen merkwürdig diskursiv, geradezu irritierend programmatisch. Über diese Serie, die an ‚verrückte’ Kritzeleien älterer Künstler erinnert, würde ich gern mehr erfahren. Ein Katalog ist für den Herbst angekündigt. Aber die kleine Serie fällt auf einer Rückwand nicht weiter ins Gewicht.

Dass er nun zu einem „der einflussreichsten Künstler in der oppositionellen Kunstszene der DDR“ ausgerufen wird, scheint konjunkturelle Übertreibung. Er galt in den 80ern als der Extreme, eher nicht als Vorbild, auch wegen der Tatsache, das selten etwas übrig blieb (diesen Eindruck, das ist jetzt sarkastisch, erzeugt die Ausstellung sehr gut). Deshalb könnte eine Aufarbeitung der Zusammenarbeit von Hähner-Springmühl mit Freunden und Kollegen lohnen.

Ob dann demnächst auch wieder möglich wird, vom Künstlerbuch ‚Kommentar’ nicht wegzulassen, dass es 1985 in der Edition eines gewissen Sascha Anderson herauskam? Es wird heute allerorten als ‚Zusammenarbeit’ zwischen Heiner Müller und Klaus Hähner-Springmühl bezeichnet. Dem schamhaften Verschweigen des Sascha Anderson entspricht ‚reziprok‘ die Ausstellungsgestaltung in Leipzig.

Diese Konjunktur läuft schon sehr lange. Für die Ausstellung ist die Stasi-Dominanz aber gar nicht schlecht, denn sie schärft die Empfindung – so ging es mir jedenfalls: In Leben und Werk wortloses Ich-Beharren und –Rumoren auf beschmierten Papieren und in kleinen Fotos; dominiert, überschattet, überblendet von riesigen üblen, nichtsdestotrotz fixierenden, markierenden, selbstsicheren Aktensätzen. Das ist DDR zum Gruseln wieder einmal, Historiographie nach den Akten statt nach dem Leben, oft nicht zu vermeiden – und einmal mehr ist nun auch egal.

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