Ehec-Epidemie zweifelsfrei gesteuert

Was darf man glauben? Gurke, Tomate, Salat, Sprossen, Spanier, Türken, oder doch die ostdeutschen Großviehanlagen? Oder Gaddafi? Kein Durchblick mehr möglich. Früher war es einfacher. Da hatte man seine Abschalter. Nehmen wir, aus Gründen der Parität, Lutz Rathenow und Henryk M. Broder. Zunächst hatten wir ihnen ungläubig zugehört. Bald griff die Hand reflexartig zur Fernbedienung, wenn einer der beiden auf dem Bildschirm erschien. Bald bewirkte schon die Ankündigung, es nehme sogleich einer der Genannten das Wort, um umzuschalten. Werde ich heute dennoch von Broder überrascht, dieser Personifikation des schönen Wortes Chuzpe (Broder-Kritik ist doch hoffentlich an sich nicht schon eine antisemitische Sottise?), so bringe ich es mittlerweile auf eine Umschaltreaktionszeit von 3,4 Sekunden.

Anwälte dürfen das, heißt es über den Kachelmann-Prozess. Sie verteidigen jemanden, also greifen sie dessen Gegner an. Sie dürfen die Kläger, die sich in diesem Sinne nur Opfer nennen, unglaubwürdig machen, ins Unrecht setzen,  der Lüge bezichtigen und beleidigen, wenn das Gericht es durchgehen lässt. Denn alles, was dem Mandanten dienen könnte, ist erlaubt. Eine Klägerin (oder Nebenklägerin) erst einmal nackt machen, bloßstellen, das dient lediglich der psychologischen Vorbereitung, sprich ihrer psychischen Destabilisierung. Es dient dazu, ihre Aussage zu beeinflussen. Wer möchte verurteilen, wenn der Anwalt das Beste für seinen Mandandent herausholt? Soll doch das Gericht entscheiden.

Weil das fast täglich verbreitet wird, Meinung hin, Gutachten her, Eindruck der, Korrektur von dieser, ist die Verwirrung komplett. Am Ende des Kachelmann-Prozesses konnte nur aufgrund der in allen Medien verbreiteten Informationen niemand guten Willens noch eine Meinung haben dazu – jedenfalls keine begründete. Jedes Gutachten hatte sein Gegengutachten, jede Meinung ihre Gegenmeinung. Wer begründete, und sich entschieden hatte, musste ausgeblendet haben.

Medienhygiene ist Illusion. Durch Auswahl der Sender und Sprecher korrekte Information zu buchen, ist unmöglich. Henryk M. Broder ist ja keinesfalls eine Personifikation der Chuzpe, nein, in diesem Wort steckt doch Charme und Lächeln. Broder ist ein Medienprodukt. Er wird gern eingeladen, weil er immer eine aggressive Zuspitzung auf Lager hat, eine verkürzende Unverschämtheit, eine Polemik, die das Opfer seines Angriffs verzerrt. Broder ist der Journalist im Anwaltjargon und mit Anwaltmethode, seine Rhetorik ist der Satire entlehnt. Das kann er und so läuft das Geschäft. Er unterhält und erhebt sich aus dem Brei, wer denkt da nach, wie? Wo man früher eine Meinung erwartete, keine anwaltliche Beschimpfung, ist nun genau das ein Surplus, weil damit ein vorderer Platz bei den Top-Nachrichten winkt.

Das Meisterstück der Jörg-Kachelmann-Anwälte war zweifellos die Inszenierung der Ehec-Seuche. Vergesst die Verschwörungstheorien, die im Netz kursieren. Schon vor der Urteilsverkündigung hatten die Anwälte diese perfide, tötende Ablenkung aus ihrem Hamburger Geheimlabor in Umlauf gebracht. Als nach dem Freispruch etwas Kritik und Diskussion über mangelnden Respekt gegenüber dem – freilich nur „eventuellen“ – Opfer aufkam, lancierten sie ein gut geplantes Verwirrspiel. Unschuldiges Gemüse wurde bezichtigt, verurteilt, frei gesprochen, anderes putativ hinzugesetzt. Todesopfer und Bauernarmut nahmen sie in Kauf. Jede These fand ihre Gegenthese, jedes Gutachten sein Gegengutachten, eine geniale Inszenierung. Wissen nur glauben zu können ist Ohnmacht.

Gelegentlich beklagt wird die Juridifizierung der Gesellschaft, die bewusste Bürger dazu ermutigt, die für ihre Kinder erwünschte Schule, ja die erwünschte Zensur in der Mathearbeit, einfach einzuklagen. Anwälte regieren Wirtschaft und Politik, wie sollte ihr Stil nicht den öffentlichen Marktplatz der Meinungsbildung beeinflussen? Der Wahrheitsfindung ist es nicht dienlich. Ohnehin gehandicapt in einer apriori unüberblickbaren Welt, wird die Entscheidung unmöglich, weil nicht mehr Informationen abzuwägen sind, sondern Medienprodukte, die miteinander konkurrierend sich der Anwaltslogik bedienen. Verzerrung kämpft gegen Stilisierung, Verleumdung gegen Glorifizierung, oder alles gegeneinander und so weiter.

Vor fast einem halben Jahrhundert schon spekulierte Umberto Eco über ein Organ, das dem Menschen fehle, das der Mensch der Zukunft vielleicht ausbilden werde. Er erwartete es, wenn ich richtig erinnere, in Kopfnähe, wo die meisten Sinne ihre Einfallstore in die Seele haben. Eco sah ein Medienorgan voraus, das uns, sobald eine Information uns erreicht, darüber informiert, wer dort spricht oder wann sprach, worüber, und was er eigentlich sagt, und was er meint, von wo aus und wohin, und was es sonst noch zu beachten gibt. Vor allem aber: zu welchem Zweck, und entsprechend unserer Konditionen. Sozusagen mit Spamschutz.

Gewonnen wäre damit freilich nichts. Umberto Eco konnte damals noch nicht die Programmierung der Algorithmen vorausahnen, die es möglich macht, all die kritisch, aufklärerisch gemeinten Subinformationen so zu simulieren, daß sich der der medienbewusste Verbraucher wohl fühlt, sicher und gut informiert, in Wirklichkeit aber genau die für ihn kalkulierte Mischung aus dem Tropf erhält, die ihm höchsten Konsum nahelegt.

Also muss weiter gelten dürfen: Ehec ist eine perfide Inszenierung zur Ablenkung vom Kachelmann-Freispruch. Aber gewiss hatte auch Gaddafi seine Hände im Spiel.

Comments are disabled for this post