Die GfzK, Carte blanche und das Verstehen

Verstehen ist Glück, meist hat man Pech

Verstreute Bemerkungen zum Dilemma der Kunstkritik (ein Diskussionsbeitrag).

Als Magisterarbeit in Leipzig (Note 1,3) ist 2007 eine „akteurzentrierte Diskursanalyse“ über den Begriff der Neuen Leipziger Schule geschrieben und dafür auch meine LVZ-Artikel ausgewertet worden. Leider sind die entsprechenden Passagen im Netz nicht mehr zugänglich (Carolin Modes: Die Neue Leipziger Schule. Eine akteurzentrierte Diskursanalyse, 2008, 107 Seiten, 35 Euro als e-book, gedruckt 60 Euro). Als ich, selbst auf der Suche nach dem neuesten Schrei der „Neuen Leipziger Schule“, im Internet auf diese Magisterarbeit stieß und also las, wie ich diesen Begriff in der LVZ gebrauchen würde, habe ich nicht schlecht gestaunt. Natürlich war ich auch enttäuscht und zweifelte an mir, wie unklar ich mich ausgedrückt hätte, und zweifelte am System: Journalismus grenzt ein und aus, er formuliert, er kürzt und betont nach eigener Rhetorik, nach eigenem Layout usw. Aber wenn schon so eine Arbeit, die sich genau das vornimmt: Zu erörtern, wie dieser Begriff changiert, auf kluge kulturwissenschaftliche Weise, nämlich differenziert nach Akteur, Medium und Öffentlichkeitsform, wenn schon diese Arbeit so daneben geht, jedenfalls in diesem Detail, wie fremd müssen dann erst die tagesoberflächlichen Leser verstehen?

Gewiss gibt es auch absichtliches Missverstehen. Im Sommer 2010 wurde ich auf athena oder athene hingewiesen, einen Anonymus, der für einen Blog täglich die LVZ-Kulturseiten las und darin – so der Untertitel seines Blogs – das Katzengold heraussuchte. Jetzt nach Ende des Vertrages mit der LVZ habe ich mir das noch einmal zugemutet. Beim ersten Mal fand ich vier von fünf meiner Artikel völlig willkürlich „wiedergegeben“, damit dann ordentlich die Keule geschwungen werden konnte. Jetzt nach dem Ende der Arbeit für die LVZ habe ich nur noch gelesen, wie dieser Anonymus die Michael-Faber-Causa auswertete und die beiden letzten Rundgänge, und im Grunde hat das gereicht: Athena/e ist ein Opfer seiner Mentalität, seines Charakters, eben des Katzengoldes, das er im Kopf hat: Er hat Verve, aber kann nicht lesen, und für ihn sind die Autoren dumm, feige oder sonstwas, wenn sie von seiner Meinung abweichen. Er gibt nur vor, die Artikel kritisch wiederzugeben oder zu kommentieren. Er hat das Ziel zu diffamieren. Man stelle sich vor: täglich aus der Deckung heraus, mit Fleiß, so etwas kostet Zeit: was für eine Existenz.

Wie weit sind Kunstkritiker davon entfernt? Neulich wurde ich gefragt, was eigentlich bei dem Carte-Blanche-Projekt der Galerie für zeitgenössische Kunst herausgekommen sei. Ich wusste nichts zu antworten und habe gesagt: Ich nehme an, nichts, doch Barbara Steiners Auswertung wird gewiss konstatieren, es sei ein wichtiges Projekt gewesen. Aber schuldbewusst ob dieser nachträglichen Vorverurteilung wollte ich das dann doch noch erfahren und fragte nach einem Beleg von „Das eroberte Museum“, (hg. von Barbara Steiner, Jovis Verlag Berlin, 2011) das die zwei Jahre Carte Blanche resümiert. Immerhin hatte ich – mit Bauchschmerzen – der GfzK gestattet, meine in der LVZ darüber pflichtgerecht verfertigten Artikel darin abzudrucken.

Mir war dabei nicht wohl, weil ich fürchtete, diese Zeitungsarbeit würden einerseits in ihrer Eigenheit nicht verstanden – es ist Journalismus und keine Sachaussage, keine theoretische Diagnose von Problemen des Kunstbetriebs. Andererseits fürchtete ich gerade das Verstehen, nämlich das Missverstehen. Ich fürchtete sozusagen die Revanche von Barbara Steiner, die sich – freilich nie direkt bei mir – regelmäßig über mich beklagt hatte, ich würde ihre Arbeit in der Galerie für zeitgenössische Kunst absichtlich missverstehen.

Nach praktischem Sinn muss ein Text in einer Zeitung verstehbar sein. Muss der Autor nicht auf seine Kappe nehmen, wenn das nicht der Fall ist? Bei aller – in meinem Falle besonders – notwendigen Selbstkritik: nein, für alles Nichtverstehen ist der Autor nicht verantwortlich zu machen. Er käme nicht zu Ende und würde unendlich langweilen, würde er versuchen, alle Lücken, die er selbst ahnt, auszufüllen. Längst ist ja die Produktivität des misreadings, des „Fehllesens“ erkannt, von Harold Bloom sogar zum Urgrund der literarischen Produktion erklärt: „Meaning gets started by a catastrophe that is also a ruining and breaking creation.“ Was die eigene Bedeutung beim Lesen erschafft, ist freilich in eben dem Moment für das gegenseitige Missverständnis verantwortlich. Die erste Reaktion ist: das stimmt doch nicht! Dies wird nicht zu umgehen sein, wenn unterschiedliche Meinungen vorliegen und angedeutet werden, die Ver-deutlichung leistet dann eher der wertende Aspekt.

Dass mir eben solches „absichtliches Missverstehen“, wie ich es bei athene erkenne, von der Frau Steiner unterstellt wird, gefällt mir selbstverständlich nicht. Vermutlich entstand dieser Eindruck, weil ich wirklich entsetzt bin über die Oberflächlichkeit, mit der in der GfzK über das Verhältnis zwischen Kunst und Kapital, in welchen Differentiationen und Wirkungen auch immer, nachgedacht wird. Der jetzt in meine Hände geratene Abschlussband bestätigt das. Wenn ich das wiederum missverstehend kurzfasse: Es geht nicht ohne das Kapital, und wenn es sich wohl verhält, ist es willkommen, wir müssen nur darüber reden.

Das Buch besteht aus 75 ganzseitigen Raumfotos von den Ausstellungen, 55 Seiten enger Typographie mit Rezensionen und Berichten. 15 Seiten referieren die „Anfangsbedingungen“ und was für Carte Blanche und während der Ausstellungen passiert ist. Auf 80 Seiten unterhält sich die Direktorin mit den eingeladenen Galeristen, Unternehmern, Sammlern, Förderern, auf weiteren 35 mit Mitarbeiterinnen ihres Teams. Einleitend referiert Dr. Steiner auf 21 Seiten, wie sich in den letzten Jahren eine ausgesprochen affirmative Kommerzkunst entwickelte (Koons, Hirst) und darüber hinaus die Grenzen der früheren Gegensatzpositionen Kritik // Institution durchlässig geworden seien. Schlichte fünf Seiten reichen für „Konsequenzen und Perspektiven“.

Ganz ohne spitzfindige Revanche kommt sie tatsächlich nicht aus. Aus der Tatsache, dass ein Sammler-Name (der Zweitname) durch eine Buchstabenverwechslung in der LVZ falsch geschrieben wurde, schlussfolgert sie: „Diese mangelnde journalistische Sorgfalt finde ich problematisch. Es sagt ja auch immer etwas über die Wertschätzung gegenüber der Kunst und den Ausstellenden aus.“

Aber hier geht es um das Verstehen. Eine Frage formuliert Barbara Steiner mit Bezug zu einem allgemeinem Punkt der  Kritik, unter anderem von mir: „Uns wurde nicht nur vorgeworfen, den Urfeind ins Haus gebeten, sondern noch dazu den Eingeladenen dann das Feld überlassen zu haben. Offensichtlich können sich viele heutzutage ein Miteinander zwischen Institutionen und Privaten nicht vorstellen…“ Diese Passage spiegelt wohl das kardinale Nicht-Verstehen. Denn wie kann ich mir etwas nicht vorstellen, das doch längst Realität und in dieser einfachen Frage längst überholt ist? Ganz unabhängig von dem Status der GfzK als halbprivate Galerie (Arend Oetkers Engagement) kann man doch nicht guten Willens erklären: wir lassen jetzt mal die Privaten rein und probieren mal wie das geht. Sie sind doch längst da und bestimmen die Konditionen. Der ganze Kunstbetrieb ist doch völlig durchsetzt, alles, Produktion und Rezeption sind merkantil organisiert und dieser Funktion folgt ihre Form, ihre gesamte Gesittung. Die Privaten, ihre Marktlogik der Innovation, ihre Macht zur Kanalisierung, Fixierung und Befestigung einmal errichteter Bastionen ohne Rücksicht auf deren kunsthistorischen oder aktuell sozialen Wert ist doch das eigentliche Phänomen – und gerade als Zerrspiegel eines viel größeren Feldes! Da hat sich seit Kahnweiler einiges getan. Alle Welt spricht von der fatalen Selbstorganisation der Finanzwirtschaft, im System der Kunst aber wirken selbstbestimmte Akteure? Jetzt macht sich Barbara Steiner auf, um festzustellen, dass die Akteure miteinander dieses und jenes ausfechten können. Aber selbstverständlich sind sie nett! Und kooperativ, mal so oder so zurückhaltend. Aber was ändert das am Kräfteverhältnis, und an den ganz vulgären Bewegungen von Geld und seinen Kanälen, Einschluss, Ausschluss und Bewertung?

Barbara Steiner denkt, sie agiere selbständig, sie mehre das kritische Potential der Gesellschaft. Ich meine, sie ist a priori Erfüllungsgehilfin, ja, da durchmischen sich wirklich die Fronten. Barbara Steiner hat nicht die Spur eines Gefühls dafür, oder sie gibt es nicht zu, dass ihre Arbeit an exklusiver Minderheitenkunst seit Jahren die Exklusionsbedürfnisse der Kapital-Eliten befriedigt und bestätigt. Ich unterstelle, wir erleben so viele überdrüssige Enttäuschung, weil sich die Kunst seit Jahrzehnten in immer kleiner werdenden selbstreferentiellen Kreisen hochzüchtet. Das heißt, ich habe energisches Interesse daran nachzudenken, wie eine Institution darin bestehen kann, wie sie der Meinungsdominanz der in den Nahrungsketten des Marktes agierenden Kolonnen etwas entgegen setzen kann. Mich interessieren die Anderen, die Übersehenen. Das hat Barbara Steiner aufgegeben, was die braven Interviews leider bestätigen. Sie will als – in meinen Augen dienstbare – Institution künftig bestehen und merkt, dass nun nicht einmal das öffentliche Interesse – Geld – dazu ausreicht, also müssen die Privaten ran. Wie bekommen wir das jetzt mit einem Schamschürzchen hin? Dazu dient ihr auch die Kunst: ihr lesenswertes Vorwort über die Entwicklungen der kritischen Kunst, die sich in die Verwertungskreisläufe begibt, gibt ihr Legitimation. Nur: die Künstler müssen das tun, wenn sie verkehrsfähige Produkte erstellen – und dazu zählt jeder Künstler selbst, auch wenn er keine Produkte als Stücke verfertigt. Das aber macht eine öffentliche Institution nicht, oder sie hat verloren. Vielleicht darf man Carte blanche zu den vielen Phänomenen zählen, wo der Staat – die Institution – seine Kulturhoheit in die ökonomischen Kreisläufe entlässt, und die Gfzk moderiert nun hilfbereit, wie das am besten hinzubekommen ist.

In der Zeitung kann man die Grundlagen seiner Bewertungen selten mitliefern. Erstens verbietet sich jedes Theoretisieren, zweitens fehlt der Platz. Das fördert das gegenseitige Verstehen eher nicht. Ich habe versucht, das Dilemma wenigstens anzudeuten, habe eingestreut, dass solches Nachdenken, wie es Carte blanche nahelegt, oft an die Grundverfassung der Gesellschaft gelangt oder nur Sturm im Wasserglas ist. Der ist es ja nun allenfalls geworden. Oft wurde sie nach den Ergebnissen gefragt, schreibt Barbara Steiner im kurzen Fazit, aber das sei die falsche Erwartung – denn es gehe um die Methode. Wie bitte? Dazu passt, dass in diesem Auswertungsbuch wirklich dreimal als ein Ergebnis notiert ist, dass beim privaten Partner, in diesem Falle dem LVZ-Unternehmen, Bildtitel direkt auf die Glasfläche aufgebracht worden waren, also visuell im Bild, was die Institution GfzK korrigiert und nun auch den Privaten beigebracht habe. Chapeau!, das war produktiv, man kann also zusammenarbeiten! Wie man das notieren kann in einem Band, der sich „Das eroberte Museum“ nennt, wie man das drei Mal notieren kann, ohne dabei in Scham zu erstarren, das verstehe ich nicht. Ich habe Carte blanche von Beginn an ganz falsch verstanden, ich wollte bei diesem Thema nicht bemerken, dass es so klein gedacht war. Oder ich verstehe nach wie vor nicht, warum man etwas zum Gegenstand eines Projektes macht, was seit Jahrzehnten da und dort, mal besser, mal schlechter, praktiziert wird.

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