Über den Horizont der Frühaufsteher

In welchem Land könnte das Bauhaus heute Exil finden? Ein Minister aus Sachsen-Anhalt schießt der Stiftung bei offensichtlicher Berliner Erstarrung oder gar Duldung ein Torpedo vor den Bug, der dem Bauhaus den Antrieb zu zerstören und den Kurs zu beeinträchtigen versucht. Genau das scheint das Ziel zu sein.

Bauhausdirektoren und Politik, eine lange Geschichte. Walter Gropius nahm 1928 seinen Abschied auch, weil ihn die Angriffe, nicht zuletzt aus Dessau, mürbe gemacht hatten und er sein Haus schützen wollte. Zwei Jahre später, die Nazis dominieren, wird sein Nachfolger Hannes Meyer entlassen. Ziehen wir einmal die unterschiedlichen politischen Verhältnisse ab und den nun scheinbar bürokratischen Mechanismus, könnte ebenso gravierend sein, was heute passiert.

Der Stiftungsrat des Bauhauses hat vor zwei Wochen seinen vorher per „Umlauf“ entstandenen Beschluss bestätigt, die Stelle des Bauhausdirektors neu auszuschreiben. Nach fünf Jahren dieses Position neu auszuschreiben ist angesichts der langfristigen Projekte einer solchen Institution blanker Unsinn, deshalb unüblich. Es bedarf in Magdeburg fadenscheiniger Begründungen –  befürchtet wird angeblich die Neuausschreibung kurz vor 2019, dem Jubiläum.

Dessau verdankt Oswalt viel. Die Stadt ist Sprünge aufgerückt. Oswalt hat die Allianzen mit Weimar und dem Berliner Bauhaus-Archiv gestärkt. Stünde das Bauhaus-Jubiläum ohne sein Engagement im Koalitionsvertrag? Die Maschine läuft gerade an – Richtung 2019. In Dessau findet man seinen faktischen Rauswurf auch bei CDU und SPD absurd, diese Parteien aber verhinderten, offensichtlich per Befehl aus Magdeburg, im Stadtrat eine Resolution dagegen. Schon das ist ein Skandal, man ist daran gewöhnt.

Es ist quasi ein Rauswurf. Denn die Begründung des Ministers, das Vertrauen zu Phillip Oswalt sei beeinträchtigt, „nicht zerstört, aber beschädigt“, differenziert zwar, aber eher als höhnische Macht, die des größeren Vorfalls nicht bedurfte – und möchte schon die Weichen für die Ausschreibung stellen. Gründe dürfe er nicht nennen, so Minister Dorgerloh, denn es seien Persönlichkeitschutzrechte betroffen.

Der Minister – und die Regierung Sachsen-Anhalt – ignorieren die international gewürdigten Leistungen des Energiebündels und Vernetzungsgenies Oswalt. Ein honorig besetzter internationaler Offener Brief, mittlerweile werden 1800 Unterschriften genannt, konnte so wenig ausrichten wie diverse andere Petitionen, auch von den Mitarbeitern in Dessau. Der wissenschaftliche Beirat, auch er prominent besetzt, tritt unter Protest komplett zurück. Man hat international empfunden, dass dieser Direktor die alten Bauhaus-Fragen nach Technik und Kultur modern zu formulieren versteht – es sei nur das Projekt der Energieanvantgarde Sachsen-Anhalt genannt.

Sogleich nach seinem Antritt hat Oswalt das Programm umgeworfen – hat das Konzept der Meisterhäuser-Restaurierung modernisiert. Er hat dafür gesorgt, dass Dessau nicht unsichtbar blieb zum 90. Geburstag. Am kommenden Wochenende beginnt in Dessau die letzte Ausstellung, die auch ihm zu verdanken ist: Mensch Raum Maschine, über die Bühnenexperimente, und wieder wird der Bogen von einem historischen Schwerpunkt des Bauhauses in die Gegenwart geschlagen.

Kurz: Die Verdienste werden unisono und auf allen Ebenen gefeiert, man warnt und protestiert aus allen Ecken und Landen, aber der Stiftungsrat möchte diesen Direktor nicht halten. Es steht die Frage, wie groß die Verfehlungen (sie sollen „im politischen Feld“ geschehen sein) sein müssen, dass sie Oswalts Leistungen dermaßen aufwiegen, ja negieren können.

Hilfreich zu wissen, wer der Stiftungsrat ist: Der Kultusminister und vier Vertreter der Dessauer und Magdeburger Verwaltung – sowie je eine Vertreterin des Berliner Kulturstaatssekretärs und des Berliner Verkehrsministeriums. Über die Haltung des Bundes in dieser Angelegenheit kann man staunen – denn im ‚Umlauf‘ war einstimmig für die Neuausschreibung votiert worden -, aber vielleicht hat auch sie System.

Ein wichtige Rolle scheint gespielt zu haben, dass die Stiftung (und der Wissenschaftliche Beirat) das neu zu bauende Bauhaus-Museum zwischen Meisterhäuser und Gropius-Bau haben wollten. Damit wäre das Ensemble entschieden aufgewertet. Die Landespolitik wollte jedoch einen Platz in der Innenstadt – und hat ihn durchgesetzt, damit dort irgend etwas passiere wie dank Guggenheim in Bilbao. Mit anderen Worten: Landesinteressen gehen vor überregionalen Interessen, zum Beispiel des Unesco-Welterbes.

Nun könnte man sagen, das ist erlaubt. Oder: Das sind halt die Frühaufsteher. Das Bauhaus nimmt Schaden in seiner neuen Agilität und als Chance auf ein einmaliges Forum. Die Politik setzt sich über die Ratschläge des Wissenschaftlichen Beirates hinweg, das passiert. Oder sind es gar nicht die übel beleumdeten Frühaufsteher allein? Warum lässt die Berliner Kulturbürokratie Oswalt im Regen stehen? Unweigerlich stellt sich die Frage, ob ein Bauhaus – das alle Fragen radikal gesellschaftsbezogen stellt – auch durch den Bund, zumal den bisherigen konservativen Kulturstaatsminister, beargwöhnt und fallen gelassen wurde. Im Koalitionsvertrag steht nur etwas vom Jubiläum, das zu feiern ist, nichts vom Labor Bauhaus, das über Energiepolitik nachdenken solle.

Vielleicht gibt es ja doch noch eine gute Lösung. Da das Netzwerk der Bauhaus-Unterstützer zumindest gut funktioniert hat, wäre vielleicht eine weitere Kampagne nützlich. Ein Aufruf gleichzeitig für die Wiederbewerbung des jetzigen Direktors und für die Missachtung der Stellenausschreibung durch alle anderen Kandidaten. Freilich, freilich…

 

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