2012, Maya

Worte zum Sonntag, Arbeitsrand, artour. Von mehreren Seiten wird für 2012 Unheil prophezeit. Die Maya sollen gar das Ende aller Zeiten berechnet haben. Im Buchmuseum der Sächsischen Landes- und Unibibliothek wird jetzt in Auszügen der Dresdner Maya-Codex erklärt. Da soll es drinstehen.

Als Junge hatte ich ein Buch über Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange. Aber der lief damals unter Azteke. Das hatte ich allerdings vergessen, als mir das Buch jetzt wieder in den Sinn kam, ich ahnte nur noch. Immerhin kam umgehend in Erinnerung, dass darin jemand gefährdet war, als Menschenopfer zu sterben. Sogar das Entsetzen dämmerte herauf, das ich als Kind darüber empfand. Jetzt war zu lernen, dass dieser Gott bei den Tolteken, den Azteken und den Maya wirkt. Jetzt geriet Mel Gibsons Maya-Film Apocalypto in den Blick, der die nötige Grausamkeit und Gemeinheit vorzeigt, um Erwachsenen zu erschüttern, bis zum Widerwillen, sich das anzuschauen.

Gut ist daran, dass anschaulich werden kann, wie das „Einzelwesen“ in mythischen Welt- und Wertsystemen je weniger existiert, je mehr seine Glieder, sein Blut, sein Herz, die Zeugungs- und Gebärfähigkeit usw. den jeweiligen Symbolströmen des Systems direkt angeschlossen sind.

Wenn sich in einem Ritual, dessen Realität wohl nicht bezweifelt wird, Männer Löcher in die Penisse bohren und sich mit einem hindurch geführten Strick aneinander binden, wobei das gelassene Blut, vermischt und mit Weihrauch verbrannt, sie mit der Götterwelt verbindet, dann ist umgekehrt das Herausreißen der zuckenden Herzen aus den Gefangenen lediglich ein Ritual, das einem Einzelwesen gilt, eine Strukturebene unter der Penisgruppe; es ist den gleichen Strömen durch sie hindurch verpflichtet. Das zuckende Herz des Feindes muss die eigene Kohorte stärken, sonst verlöre der Himmel die Balance. Dass dieses Ritual tötet, was in einer Haut zwischen Kopfschmuck und dreckigen Füßen zusammen gefasst war, ist zwar schade, denn man könnte es auch arbeiten lassen, doch die Ströme des mythischen Weltorganismus’ haben Priorität.

Schwer zu verstehen, was „Ich“ war und ist. Bei den Maya gab es wohl auch kultischen Kannibalismus, auch grandiose Spektakel wie das Zusammenbinden von Gefangenen zu großen Bällen, die die steilen Treppen (der symbolischen „Berge“ über den Wassern) hinunter gestoßen wurden. Doch kannten die Maya-Kulturen ebenso freundlichere Zeiten, schon ablesbar an der Architektur, die zuweilen weniger zentral und hierarchich ist. Gottkönigen und -königinnen wurden  wohl nur Zungen und Ohrläppchen angestochen, aber Blut von ihnen gehörte auch dazu.

Der Untergang

Unglaublich, wie enorm die Rätsel in der Maya-Geschichte nach wie vor sind, aber auch, wie das Wissen über die Maya sich erweitert und verändert hat. Seit wann liest man diese knubbligen Maya-Hieroglyphen? Versuche gab es seit der frühesten Kolonialzeit. Den entscheidenden Schlüssel entdeckte 400 Jahre später ein Russe. Doch dessen Forschungen wurden als kommunistische Progaganda abgetan, weil man westwärts den Maya ein komplexes Schriftsystem nicht zutraute. Revidiert wurde das erst in der Zeit, als mein Kinderbuch erschien. Noch immer aber sollen, je nach Rechnung, ein Drittel oder ein Viertel der 700 oder 800 Schriftzeichen noch nicht entschlüsselt sein.

Der Dresdner Codex liefert keinen Hinweis auf einen Weltuntergang am 21.12.2012. Die Zeichnung, die dafür als Argument benutzt wird, ist zwar eine apokalyptische Drohung mit viel Wasser vom Himmel. Doch erstens gehört sie an eine ganz andere Stelle des falsch zusammengeklebten kalendarischen Leporellos (von fünf Schreibern/Zeichnern). Zweitens gibt es gar keinen Hinweis darauf, dass die Maya sich nach Beendigung der Zeitabschnitte, die dieser Codex umfasst, statt des neuerlichen Beginns mit einem Neujahrsfest das Ende der Zeit vorstellten. Es widerspräche ihrer zyklischen Weltordnung, sie dachten nicht auf eine Apokalypse hin.

Zu der Zeit, als der Dresdner Codex geschrieben wurde, war die Maya-Blüte längst vorbei. Man datiert ihn in die Postklassik, wenn genauer, auf 1200-1250. Da war die Katastrophe schon vorbei. Viel interessanter als der angeblich prophezeite Untergang ist die Frage, warum die klassische Maya-Welt im 9. Jahrhundert offenbar rasant kollabiert ist. Früher wurde angenommen, die Maya seien ausgestorben, was falsch ist. Doch reihenweise zerfielen die Staaten, wurden Städte verlassen.

Dies geschah innerhalb von wenigen …zig Jahren. Dynastien, die vorher hundertausende Untertanen beherrschten, endeten, das Maya-Tiefland in Yukatan entvölkerte sich. Danach begann eine Art dunkles Mittelalter von 200 Jahren, bis die Maya-Kultur im Hochland von Guetemala wieder deutlichere Spuren hinterlässt.

In dem opulenten, von Nikolai Grube (dem deutschen Maya-Experten) und anderen herausgegebenen Maya-Band bei Könemann (2000) ist eine Karte mit den letzten Datumsinschriften der klassischen Zeit in den heute bekannten Städten, d.h. den letzten Aktionen der Repräsentation, die eine gewisse Zukunftsbehauptung sind. Es gibt zwei Wellen des Endes, entnehme ich den Zahlen, an den Rändern fließend, versteht sich, etwa 800-840 und 870-910.

Was zum Untergang geführt hat, ist umstritten. Extreme, wiederholte Dürre könnte eine Rolle gespielt haben, auch eine vorher hyperbolisch gewachsene extensive Landwirtschaft mit einer ökologischen Katastrophe am Ende; verheerende Kriege mit anschließenden Machtvakuen trieben als Ursache und Wirkung den Zerfall voran.

Die stoffliche, man darf sagen: die energetische Organisation der Macht war offenbar so labil, das fortwährend zunehmende Gründe, verbunden mit einem „irregulären“ Klimaextrem, sie binnen weniger Jahrzehnte zunichte machten. Am meisten beeindruckt die Geschwindigkeit des Zerfalls. Gewiss hatte es Kassandras gegeben, aber man wusste sich zu arrangieren, bis es zu spät wahr.

Die Rede ist nicht von Finanzkrise. In Umkehrung von Coleridge schreibt Peter Sloterdijk („Du musst dein Leben ändern“) von der willentlichen Suspension des Glaubens ans Reale, „ohne welche kein praktisches Arrangement mit dem Gegebenen zustande kommt. Die Einzelnen finden sich mit der Wirklichkeit kaum je ohne eine Beimischung von Entwirklichung zurecht. Die ungläubige Entwirklichung unterscheidet auch kaum zwischen Vergangenheit und Zukunft: Ob die Katastrophe eine vergangene ist, aus der man hätte lernen sollen, oder eine kommende, die mit geeigneten Maßnahmen abzuwenden wäre – immer weiß das Nicht-Glauben-Wollen die Dinge so einzurichten, daß der gewünschte Grand an Entwirklichung erreicht wird.“

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