Leipziger Literarischer Herbst mit Adel Karasholi und Werner Heiduczek. Dass der Staffelstab des öffentlich gehörten literarischen Intellektuellen in Leipzig von Erich Loest direkt an Clemens Meyer weitergegeben wurde, könnte etwas bedeuten, das jetzt unausgesprochen bleiben soll. Die gewiss streitbare, doch ungemein scharfsinnige Juli Zeh hat die Gegend verlassen. Jüngere Autorinnen haben noch zu wenig geschrieben, um die Rolle zugeteilt zu bekommen, ältere werden nicht mehr gefragt. Eine Dichterin, die gewiss vier Jahrzehnte in Leipzig wohnt, bleibt so verborgen in dieser Stadt, wie sie die Substanz ihrer Bücher in deren leichten Erzählgeweben hinter Sätzen über die Liebe tarnt.
Umso freundlicher, dass der bekanntere Clemens Meyer nun ein – recht schnoddriges – Vorwort zu einem Essayband von Werner Heiduczek geschrieben hat, der im Plöttner-Verlag erscheint. Bei der als Höhepunkt des Literarischen Herbstes in Leipzig deklarierten Veranstaltung mit Heiduczek und Adel Karasholi am Sonnabend im Alten Rathaus hat Clemens Meyer es vorgelesen.
Allerdings war er nicht leibhaftig anwesend. Er sei in New York, hieß es, oder dort in der Nähe, und müsse schreiben. Aus der Ankündigung, Clemens Meyer werde per Internet aus New York zugeschaltet, wurde dann ein vorproduziertes Videoeinspiel. Ach, es hätte so schön werden können: Live von dorten her erklänge die Laudatio für den älteren Leipziger Schriftsteller wie durch ätherische Ausflüge erhöht. Der Literarische Herbst, das arme Balg, stiefweit ab von „Leipzig liest“, wäre mit der Welt verbunden gewesen. Es kam dann aber doch wie immer.
Werner Heiduczek wird demnächst 85 Jahre alt, Adel Karasholi hat die 75 erreicht. Der Altersdurchschnitt der Besucher im sehr gut gefüllten Ratssaal lag souverän, wenn auch nicht weit, unter der kleineren Zahl. Die beiden Autoren hatten wegen anderer Programmpunkte, die der Plöttner-Verlag unschicklich in die Veranstaltung der „Ehrenlesungen“ gedrückt hatte, jeweils nur etwa 20-30 Minuten, kamen aber jeder sofort auf den wichtigsten Punkt ihrer Poetik.
Weil bei so einem Treffen naturgegeben viel Vergangenheit mit im Raum sitzt (und zu Worte kommt), sei ein Erlebnis mit Adel Karasholi hier eingestreut, irgendwann zwischen 1986 und 1988.
An der Glastür am Ausgang des Hörsaalgebäudes zum damaligen Karl-Marx-Platz waren zwei handschriftliche Zettel mit zwei Gedichten angeklebt. Sie gehörten zum Typus „Schwarze-Raben“-Lyrik im Nachgang des Expressionismus und von Sascha Anderson. Jedenfalls fiel kein schönes Licht auf die sozialistische Realität. Die Texte waren, wenn ich korrekt erinnere, nicht einmal besonders anklagend oder karikierend, nein, eher Stimmungslyrik, und die Stimmung war einfach schlecht; der nächste Morgen grau, und alles bleibt schwarz. Da hatte es jemand aufgeschrieben und angeklebt. Ich wartete vor dem Eingang zur UB, las das und hatte weiter zu warten. Adel Karasholi, ich kannte ihn vom Sehen, von einer Lesung, kam vorbei, las die Gedichte und ging hinaus.
Dann strebten, ich stand abseits und wartete, zwei junge Männer, zweifelsfrei Studenten, dem Ausgang zu. Sie stoppten und lasen die Gedichte. Der linke blickte zu seinem Begleiter und sagte. „Müssen wir abnehmen, oder?“ Das „oder“ kann ich nicht beschwören. Sie rissen anstandlos die Zettel ab und zerknüllten sie achtlos im Gehen.
Ok, dachte ich, die sind immer im Dienst, nicht einfach. Bald darauf kam Karasholi zurück. Er suchte und vermisste die Gedichte, sah mich und fragte danach. Ich gab etwas sarkastisch Auskunft, schulterzuckend, und er regte sich richtig ein bisschen auf: Wie wunderbar das sei, wenn junge Leute, wie man ja annehmen könnte, ihre Gedichte an die Türen heften, Lyrik zu den Menschen bringen. Und dann müsse diskutiert werden. Und dann kommen andere und nehmen das ab, er verstünde das nicht. Was für eine vertane Chance; was ist das für ein Land?
Werner Heiduczek ist ein wunderbar objektiv böser alter Mann, der mit sachlicher Formulierung unerfreuliche Sachen sagt. Macht euch nichts vor, könnte seine Botschaft lauten, kühlt ab, kommt herunter. Aus diesem Grund bekam er mit „Tod am Meer“ (1977) so viel Ehre und Misstrauen von Staatswesen. Es gibt immer ein banaleres, ein basales Motiv für euer Denken, eure Handlungen, die ihr so hochwohlgemut begründet. Ich war vor einigen Jahren geradezu perplex, was Heiduczek in seiner Autobiographie mitzuteilen die Ehrlichkeit hatte. Er kommt dabei selbst nicht gut weg. Was soll man machen, so war das Leben. Über diese Wahrhaftigkeit als Urgrund der Literatur, als conditio sine qua non, las er im Alten Rathaus.
Verleger Jonas Plöttner wunderte sich in seiner Moderation über Adel Karasholis Diktum: „Heimat ist kein geographisch lokalisierbarer Ort, sondern ein geistiges Gebilde, das erst durch Sprache erfahrbar wird.“ Karasholi kam 1961 ins Exil nach Leipzig. Er reklamiert für sich programmatisch die ZWEI Kulturen: er träumt die Mutter deutsch redend, die deutsche Frau arabisch. Er will sein „Daheim in der Fremde“, wie ein Gedichtband hieß, nicht als nur ein Zuhause akzeptieren, er behauptet eine Heimat darin. Aber kann man Heimat nicht auch haben, indem sie längst verloren ist, und es bleibt doch die Heimat?
Aber Karasholi hat den Willen, es gut zu denken. Es geht ja. Erasmus hat es so ausgedrückt: Meine Heimat ist dort, wo meine Bibliothek ist. Adel Karasholi ist ein Vermittler von dort und dort hin, er hat aus dem Arabischen (und anderen Sprachen) und ins Arabische übersetzt. Eine Heimat in der Schnittmenge zweier verschiedener Kreise? Karasholi las die alte und neue Fassung eines Gedichts, das dieses „fremde Dasein“, die Heimat in der Fremde aus älterer und neuerer Perspektive erörtert. Die jüngeren Aussichten sind dabei nicht besser geworden. Man kann sie mit einem seiner poetischen Bilder als ungläubig-ohnmächtige Frage fassen: Warum setzt ihr mir den Turban auf? Ich bin das nicht.
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