Wehmut der Ferne

Cy Twombly ist gestern gestorben, ein Begeisternder, Öffnender, Fesselnder, der ahnen ließ, in welchem post age wir uns befinden. Vor zwei Jahren überraschte das Lindenau-Museum Altenburg mit dem Coup, durch die Vergabe des Gerhard-Altenbourg-Preis 2009 an den 1928 geborenen Twombly zugleich sich und ihn zu ehren. Folgend der 2009 geschriebene Artikel über diese Ausstellung, geringfügig verändert. Er ist insofern aktuell, als im Museum Brandhorst in München gerade eine Ausstellungstournee der Fotografien Twomblys begann (in München nur noch bis 10.Juli)

Die Frage, ob sie jetzt überschnappen würden, sei wirklich gestellt worden, erzählte Jutta Penndorf, die Direktorin des Lindenau-Museums. Die Nachricht, dass der Gerhard-Altenbourg-Preis 2009 an Cy Twombly vergeben werde, ließ sehr erstaunen. Bei aller Wertschätzung für die bisherigen Preisträger, diese Ehrung zielt höher, als der Altenburger Himmel bisher war.

Der 1928 geborene Nordamerikaner, der seit einem halben Jahrhundert überwiegend in Rom und Italien lebt, gehört zu den Künstlern, deren Bilder bei Auktionen in der Regel nicht mehr unter die Million Dollar rutschen. Twombly hat Ende der 50er Jahre im New Yorker Klima des beginnenden abstrakten Expressionisten eine völlig neue Bildsorte erfunden. Es war ein ungeheurer Mut, eine ungeheure Frechheit, wie so viele Novitäten kam sie aus dem Black Mountain College bei Asheville, North Carolina.

Twombly strichelt Worte und Fetzen, windet Sprache zu rhythmischen Mustern über große Flächen. Schwarze Bilder, unleserlich vollgeschrieben. Doch aus den Wortzeichen spricht die Erregung formal, allein durch die Spur der Bewegung, und oft verbleibt immerhin eine Andeutung. Ahnungen werden erzeugt in einer fühlbaren Form. Wenn einmal keine Buchstaben benutzt sind, verteilen sich wenige zauberische Farbspuren auf den Bildern, wie zufällig, wie auf geschrundeten Wänden, die schon viel gesehen haben oder just ein Gedicht hervorraunen.

Wertschätzung und Erfolg setzten mittelbar ein, mit den 60er Jahren. Die Anerkennung wuchs und hält an, was sich vielleicht in dem Umstand ausdrückt, dass im Abstand von anderthalb Jahrzehnten zwei große Museen Twombly eigene Abteile widmeten. Renzo Piano baute für die Menil Collection in Houston ein extra Gebäude für Twombly (dort gibt es auch die Rothko-Kapelle). Im erst in diesem Frühjahr eingeweihten Museum Brandhorst in München nehmen Werke von Twombly die gesamt obere Etage ein. Für den Zyklus „Lepanto“ ist eigens ein Wandbogen entworfen.

Twombly ist gewissermaßen ein Fixstern am Firmament der Moderne, an dem andere seit Jahrzehnten ihren Kurs messen müssen. Durfte man denn überhaupt sicher sein, dass er den Preis annehmen würde? Er hat, das Geld hat der Künstler für den Kunstunterricht von Kindern in Altenburg gespendet.

Die Altenburger Ausstellung gibt vor allem eine Ahnung von den geistigen Dimensionen von Twomblys Werk. Nachdem er 1952-53 mit Robert Rauschenberg ausgiebig Italien, Griechenland und Nordafrika bereist hatte, hörten die Hinweise auf antike Mythen niemals wieder auf im Werk des Amerikaners. So luftig die Werke sich geben, so fest und tief werden sie verankert. Aus dieser Spannung aus Ahnung und Vermissen resultiert ihre Poesie. Es sind Bilder zum Einatmen. Es mischt sich Schmerz hinein, denn offensichtlich ist dort etwas verloren. Wir lesen gerade noch die Namen der göttlichen Gefährtinnen, aber sie sind längst entschwunden. Das Zeichen an der Wand kündet vom verlorenen Geliebten – eine Ursprungsmetapher des Zeichnens an sich. Es ist merkwürdig, wie wenig dieser Aspekt bei Twombly gewürdigt wird. Er befreit zur Poesie, zur Andeutung, zum Leichtsinn, unterlegt von der Melancholie des Verlustes.

Wie von Kinderhand krakelt Twombly seine Schiffe, naiv, ungestylt, wahrhaftig, oder wie von alten römischen Wänden abgeschrieben. Wohin der Wind die mythischen Seefahrer treibt, darf die Phantasie entwerfen. Gewiss ist von Nachteil, dass die Ausstellung mit Grafik und Fotografie auskommen muss. Die luftige Kritzelei auf helle Gründe bleibt den Besuchern vorenthalten. Doch Radierungen und Holzschnitte sind erstaunlich gut geeignet, die Emotion einer schnellen schriftlichen Geste zu erhalten.

Wenn so einer im höheren Alter etwas ganz Neues beginnt, zumal in einem anderen Metier, irritiert er zunächst. Zwar hat sich Twombly in späteren Jahrzehnten manch lyrischen Überschwang geleistert, zwar hatte er schon am berühmten Black Mountain College fotografiert – spröde gemachte Flaschenbords nach Morandi; doch erst etwa ab 1980 entstanden wieder regelmäßig Fotografien, ein Vierteljahrhundert verging, bis sie öffentlich wurden.

Mittlerweile hat man Twombly seine Fotografien, bei ihrem Erscheinen standesgerecht großartig aufgemacht, verziehen. Dank des Verlegers und Sammlers Lothar Schirmer, der sie veröffentlicht hat, sind sie in Altenburg zu sehen. Bei Schirmer-Mosel wird Twombly ausgezeichnet publiziert. Die Fotos stehen zwar nicht auf einer Stufe mit der Malerei, was Innovation, Poesie, Atmosphäre und Dimension der mythischen Signale angeht. Sie sind vielleicht „noch stummer“ als die Malerei.

Die meisten Aufnahmen stammen aus den italienischen Ateliers und sind ausgewogene unscharfe Nebenbei-Stillleben. Details von Tischszenen werden zu nebligen Schichten aus Farben harmonisiert. Beim Blick in einen anderen Raum fängt der Fotograf das einfallende, wiederholt entgegenkommende Licht. Die mit der Unschärfe melierenden Flächen vereinigen sich und der Einblick verwandelt sich in eine dämmrige Szene am späten Nachmittag, egal, wie spät es auch sei.

Die Unschärfe der Fotos entrückt die Sujets ins Zeitlose, unsichtbar liegen überall weiße Tücher auf den Möbeln. Als ob Twombly sich hier Dingen widmet, die er mit den Bildern nicht anstreben kann, bauen die Fotos diffuse Lichträume wie nach niederländischen oder anderen barocken Gemälden. Weil ihnen die Frische und Spontaneität der Zeichnungen und Malereien fehlen muss, verströmen sie die Melancholie des Mittags. Es ist die gleiche Wehmut der Moderne, die sich mit Bildspuren und naiven Graffiti an die mediterrane Jugend der Menschheit erinnert, in sehnsüchtiger Poesie, aber stotternd oder stumm.

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