Wanderer, du ahnst es nicht

WANDERER, DU AHNST ES NICHT

Neo Rauchs Ausstellung „Der Zeitraum“ in der Galerie Eigen+Art

Schwere Geschütze. Hinter dem Rücken der Zuschauer stürzt die Welt in den Schlund. Nebenan legen grobschlächtige Männer Rüstungen an. Stranguliert liegen die Opfer nach vergeblicher Mühe. Nirgends Atem, Lächeln, Frieden.

Neo Rauchs Bilder, alle von 2006, sind kombinatorische Erzählungen. Der Sinn tarnt sich. Er setzt sich aus Lichtstimmung und Balance zusammen, aus Handlung und Psyche, aus Attributen und Körpersprache. Die Bilder sind nicht zimperlich in ihrer Tendenz, sie sind kaum für Montessori-Pädagogik zu halten.

Man sollte gewarnt sein, wenn ein genauer Arbeiter wie Rauch zwei anscheinende Etüden unter die zehn Großformate mischt. Eine Show geht mit dem Anfang los und endet am Schluss. Das kleine Bild mit dem Fliegenpilz-Ufo im Himmel, für die Wanderer darunter unsichtbar, heißt „Glück“. Glück gehabt, dass das Ufo daneben geht? Nein, zwei Welten! Diese Wanderer, im kleinen Glück ihrer Begrüßung befangen, ahnen die andere Seite nicht, die„von schweigenden Mächten geheimnisvoll durchwaltete Welt“. Von der aber scheint der Maler geprägt, und gedopt zu obsessiven Visionen. Das zweite kleine Bild, mit einem Mann, der Insekten abwehrt, nennt der Maler „Ungeheuer“. Ein subtiler Moment. Ein Hieb, absolutes Jetzt, ungeheuer präsent. Wirrer Blick, die Zeit steht still.

Nichts weniger als einen Rahmen aus Raum und Zeit für den „Zeitraum“ könnte man also in diesen beiden Bildern vermuten. Dann aber dreht der Maler auf. Manchmal fällt sogar dem Champion schwer, die Fülle zu bändigen. Der Sound ist bekannt. Doch hat sich im Vergleich mit der New Yorker Ausstellung vor nur 16 Monaten einiges dramatisiert. Waren die Figuren früher meist somnambul erstarrt, in steifer Trance gefangen, werden sie nun aggressiv dabei. Schmutzige Graffiti nehmen überhand. Katastrophen-Wolken verdunkeln die Szene.

Reduziert ist in der jüngsten Produktion die räumliche Verschränkung divergenter Ebenen und Szenen. Dadurch sind die Bilder energischer, aber auch ärmer an Kunstform. Das Gefühl drohenden Unheils forderte offenbar Tribut. Damit korrespondiert satte, dumpfe Farbigkeit. Die „Vorführung“ führt den Blick neben schrillem Pinkrosa zu einer Szene am Schräghang: Auf der Bühne stehen ein westlicher Fettsack mit Zylinder und eine Ozeanierin mit Blumenkranz. Ihnen zugewendet, sitzen drei Paare bei quasi der letzten Suppe und ringen blindbissig um die rechte Weltensicht. Der Teufelsmime schläft schon, derweil geht die Welt mit Drive abwärts. Mit hübscher Pointe bleibt das ein düsteres Bild. So etwas kann nur malen, wer den Pilz fliegen sieht. Sie ist nicht gut, „Die Lage“ und trägt selbst malerisch noch Kampfspuren. Das Freiheitssymbol verkommt zur dreihornigen Fratze, Mauern sind hoch, Waffen bereit.

Sein unvergleichliches malerisches Vermögen beweist Neo Rauch trotz freiwilliger Reduzierung der Peinture. Es lebt sich im Bösen aus,  erschafft gefährliche Ornamente und Metamorphosen, gnomengleiche Quappen, kotige Abstrakta. Das darf auch mal schön werden, wie in der Blutwolke der „Morgenröte“. Eine ganz neue Bildsorte ist das „Lamm“. Das beabsichtigte Thema einer Isaac-Opferung ist noch erahnbar im Sündenfall-Detail sowie im (mit Kunst getauschten) Feuerholz auf dem Berg. Doch der gravitätische Ernst des Kampfes zwischen dem Bösen, dem Versucher, und dem Gott, findet in der Moderne nicht statt: Dort wählt man Lamm auf dem Menü. Die Errettung fiel aus. Grandios ist, dass der Künstler das untergründige Böse der fernen Szene rein malerisch vitalisiert. Das ist neue Malerei, absolut kein Retro-Stil, der surrealistische Revivals abfeiert. Ihre Wucht sprengt die nivellierende Tendenz des Marktes, der nur Waren, keine Kunst verlangt. Kein anderer der derzeit hoch gehandelten Maler weltweit hat der Malerei ein auch nur annähernd großes Terrain an Bedeutung zurück erkämpft.

Dafür macht Rauch den nächsten Schritt: Stilistische Tendenz wie Details erhöhen den Realitätsgrad der Bilder. Sie lassen sich mehr denn je auf reale Verhängnisse beziehen – vom neuen Irrationalismus in der Welt über die menschliche Blindheit bis zur sozialen Verrohung. Sie raunen, sie ängstigen als Menetekel an der Wand. Eine Quintessenz des „Zeitraums“ könnte lauten: Der Irrgang der ermatteten Menschheit, bewusstlos unter den Bannern der Falschheit und Gewalt, geht in die letzte Kurve.

Wo nimmt er das her? Neo Rauch ist ein kerniger Mann vom Jahrgang 1960, der hart arbeiten kann, der Geist und Körper vorbildlich trainiert. Er ist neuerdings wohlhabend und auch als Professor geachtet. Wenn er zu reden anhebt, knien in Hörweite alle nieder. Das ist die Oberfläche. Doch in der Tiefe der Biographie sammelt er Schmerzen und Ängste, entwickelt seismographische Sensibilität und eine Theorie, die den mutsuchenden Geist befriedet. Bei Neo Rauch ist sie, wie ausgeprägt auch formuliert, strikt konservativ. Diese Position gegen den Zeitgeist hat ihn in seiner Neigung zu „unmoderner“ Erzählweise bestärkt. Aber die konservative Neigung formatiert viel mehr: Der Weltweg führt herab. Apokalyptische Ängste durchwehen den Maler und das Gefühl, der Gang der Dinge werde von unlenkbaren Strömen bestimmt. In vielen „lichten“ Momenten das Fliegenpilz-Ufo über sich zu ahnen, ist sein Stigma und das Glück für die Malerei.

Auch die Tiefe des Blicks gebiert Ungeheuer. Ein wenig nimmt Neo Rauch sich selbst auf die Schippe, oder sollte es pure Affirmation sein? An seinen prägenden konservativen Gewährsmann erinnern der Titel des Katalogtextes („Vertrautheit verweht…) und das Katalog-Design. Mit abgeschabtem Relief und Spinnenmuster im Vorsatzpapier wird suggeriert, es handele sich um ein altes kordelgeschnürtes Album. Was drinnen steht, wäre also durch die Zeit schon bewahrheitet. Der Maler leiste gleichsam einen stereoskopischen Rückblick.

Doch das alte Design ist nur per Foto auf den Umschlag appliziert! Glück gehabt! Weiche, Fliegenpilz, fort! Augen auf, und durch! Die Wahrheit ist das Kind der real vergangenen Zeit, nicht des nachtmahrschen Blicks. (2006)

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