Vermeer hat hart gearbeitet

VERMEER HAT HART GEARBEITET

Das Frühwerk des Malers in der Dresdener Galerie Alte Meister

Die Verführungskraft dieses Johannes Vermeer van Delft (1632-1675) hält unvermindert an, ja scheint noch zu wachsen. Eine Dresdner Ausstellung zeigt mit wenigen Bildern, wie der Maler zu dem wurde, als der er heute berühmt ist.

Der Film über das „Mädchen mit den Perlenohrringen“ gab dem Künstler ein heutiges Gesicht. Doch dürfte das nicht der einzige Grund sein, dass Vermeers Berühmtheit dabei ist, die eines Rembrandt zu übertreffen. Denn Vermeers Malerei passt besser ins 20. Jahrhundert. Er kommt modernen ästhetischen Neigungen sehr entgegen: vieldeutbare Ambivalenz statt konkreter Parteinahme, rhetorische Leichtigkeit gegenüber komplizierten Theoriebildern. Zudem umgeben den Maler weiterhin einige Rätsel, seine Bilder sind abstrakte Schönheiten, und welche Sehnsucht wäre größer als die nach der Vermeerschen Stille?

Mit diesem Rückenwind wagen die Staatlichen Kunstsammlungen, mit nur vier Gemälden Vermeers und 30 weiteren von möglichen Anregern und von seinen Kollegen in Delft, aufzutrumpfen: „Der frühe Vermeer in Dresden“. Es ist nicht übertrieben, denn das Oeuvre des Malers ist mit 36 Bildern ohnehin sehr klein, sein Frühwerk mit einer knappen Handvoll in Dresden fast komplett.

Gleichwohl hat die Ausstellungsgestaltung sich etwas ausgedacht: Das Zimmer des „Brieflesenden Mädchens“ ist maßstabsgetreu nachgebaut, so dass die Konstruktion des Bildes und die Umwege beim Malen miterlebt werden können. In zwei weiteren Inszenierungen symbolisieren Globen und Messintrumente das Abenteuer der „Vermessung der Welt“ in der Mitte des 17. Jahrhunderts; zeitgenössische Möbel, Gläser und Vasen installieren ein holländisches Ambiente um das Gemälde „Brieflesende Mädchen am offenen Fenster“. Das Gemälde ist dadurch leider nur von einer Seite her näher zu betrachten.

Die Dresdner Oberkonservatorin Uta Neidhardt hat das schöne Projekt erdacht und mit Kollegen aus Den Haag und Edinburgh bearbeitet. Aus dem Mauritshuis und der National Gallery of Scotland – den weiteren Stationen der Ausstellung – kommen die beiden geliehenen Frühwerke, denen die Dresdner „Kupplerin“ (1656) und das „Brieflesende Mädchen“ (1657-1659) nachfolgen.

Es bleiben, obwohl die Abfolge der wenigen Bilder eine enorme Überzeugungskraft entwickelt, genug Rätsel übrig. Woher der Sog kommt, der den echten Vermeer in den 1660er Jahren immer mehr zur Leere aus Licht und Raum zieht, kann nicht geklärt werden. Auch die Lehrzeit des Malers vor seinem Eintritt in die Lukasgilde in Delft 1653 bleibt im Dunkel.

Die Bilder von „Diana und ihren Gefährtinnen“ und „Christus bei Maria und Martha“ sind etwa zwischen 1653 und 1655 gemalt und beide signiert. Mit solchen „Historien“ musste ein Maler dazumal sein Können beweisen. Mit ihnen wäre später das meiste Geld zu verdienen gewesen, doch der Eintritt in diesen – höfischen – Absatzmarkt blieb Vermeer verwehrt. Er lebte im Wesentlichen von einem Mäzen, der ihm die meisten seiner wenigen Bilder abkaufte, daneben vom Vermögen der Schwiegermutter. Er malte Bilder mit teuren Accessoires und Musikinstrumenten, Bilder vom Wohlstand, hinterließ aber eine Menge Schulden.

Vermeers ersten beide Werke lassen am dringendsten schlussfolgern, dass sein Lehrer wohl keinesfalls jener Leonaert Bramer gewesen war, der in einer Urkunde genannt wird. Geht man davon aus, dass Schüler dem Meister auch als Gehilfen dienen mussten, kommt am ehesten Jacob van Loo in Frage. Das war ein Amsterdamer Maler, der später nach Paris floh, weil er – wie man es aus Bildern seiner Kollegen kennt – in einem Kneipenstreit jemanden erstach und zu Tode verurteilt wurde.

Dieser neu sichtbare Zusammenhang ist ein Stein im Puzzle. Danach hat sich Vermeer offenbar an Malern wie Carel Fabritius, Pieter de Hoch und Gerhard Terborch, also in andere Richtung, orientiert. Vielleicht hat er sich, wie vermutet worden ist, selbst in der „Delfter Feinmalerei“ unterrichtet, hat sich autodidaktisch trainiert, die Lichtstimmungen, Teppiche, Seiden und glänzende Perlen zu malen. Die Beziehungen dazu machen in Dresden exzellente Leihgaben deutlich.

Aber niemand hat Licht, Ruhe und Behutsamkeit so ins Extrem getrieben. Der Weg dahin war lang – die Schritte sind groß und sie beginnen früh. Mäßigung und Beruhigung in Gestik, Mimik und Komposition lässt sich auch bei den Historien ausmachen. Auch charakteristische Details – wie die exklusiven Perserteppiche, wie distanzierte Figuren und schattige Profile – hat der Künstler schon in den frühen Werken gemalt.

Sehr überzeugend im Hinblick auf den offenbar unbedingten Willen des Künstlers zu seiner Originalität sind dann die Schritte, die erst mittels neuerer Gemäldeanalyse in der „Kupplerin“ und bei der „Briefleserin“, den beiden Dresdner Bildern, erkundet werden konnten.

Die robuste Szene im Bordell, Vermeers Wechsel zur Genremalerei, hat er durch Verschattung und Reduzierung kultiviert. Auch die Regie von Blicken und Händen weist auf spätere sublimiertere Bilder. Weit gravierender noch sind die Änderungen des Künstlers beim „Brieflesenden Mädchen“.  Sie offenbaren, wie hart der Maler mit sich ins Gericht ging. Ursprünglich hatte das Mädchen zwei Attribute: einen Amor-Knaben als Gemälde an der Wand und einen Weinkelch an Stelle des Vorhangs. Dem Maler wurden sie im Verlaufe des Malens zu viel – sie hätten das Bild in eine eindeutige und eher plumpe Liebesanbahnung verwandelt.

Blickt man von diesem Bild die wenigen Jahre zurück, werden die Schritte des Malers mit den frühen Bildern aus Den Haag und Edinburgh verständlich. Es gibt keine Tabula Rasa, nach der der eigentliche Vermeer beginne – allerdings macht er in der entscheidenden Phase große Sprünge. Der „Kupplerin“ ist der Kampf zwischen vulgärem und feinsinnigen Ton noch anzusehen; der moderne leichte Geschmack des Vermeer entsteht danach durch die Übermalungen im Brieflesenden Mädchen.

Diese abenteuerliche Entwicklung lässt die kleine Ausstellung mit einem umfassenden Katalog ausgezeichnet nachvollziehen; gleichsam nebenher feiert Dresden seine früh erworbenen Schmuckstücke. Sie sind diejenigen, mit denen aus dem Vermeer der Vermeer wird. (2010, längere Fassung)

Comments are disabled for this post