«Damals war er ein SS-Mann, heute schreibt er wie einer.»

Karfreitag, Sederabend. Seit einigen Wochen schon sind mir die Erwägungen zuwider, ob der Militär-Schlag gegen die Atomanlagen des Iran noch vor oder erst nach den US-Wahlen stattfinden werde, wieviel iranische Tote er wohl kosten dürfe und was das für Öl-Preis, Dow und Dax bedeuten könnte.

Insofern bin ich Günter Grass dankbar. Seinen, was den israelisch-arabischen Konflikt angeht, etwas kurzsichtigen Text, der aus subjektiven und historischen Gründen so gar nichts von „j’accuse“ hat, kann ich dennoch nicht gutheißen.

Allerdings trifft Grass‘ Gestus sehr gut die deutsche Misere, wenn der Staat Israel (der politische, nicht das Erez Israel) kritisiert werden soll: ich würde ja etwas sagen, wenn ich mich denn getraute… Andere waren freisinnig: Jose Saramago, noch ein Nobelpreisträger, wusste genau, was er tat, als er die Situation der Palästinenser-Lager mit den deutschen KZs verglich. Er kalkulierte frech die Reaktion ein. Es mag geschmacklos ist, Naziverbrechen und Israel zusammenzubringen, antisemitisch ist es nicht. Es ist nicht antisemitisch, den gegenwärtigen Staat Israel zu kritisieren. Wie viele Juden in Israel wären dann antisemitisch? Putzig, wie Grass nachträglich betonen muss, nur die Regierung zu meinen, und nicht „Israel“. Gleiches gilt für seine angebliche Gleichsetzung von Iran und Israel.

Das eigentliche Thema von Grass stöhnt: Ich schwieg aus früherer Schuld. Das drehen die Falschmünzer (sic, oweh!) um: Grass stilisiere sich, trotz der Keule des Antisemitismus-Vorwurfs die Stimme zu erheben. Da quält sich der Grass hin und her mit seiner Vergangenheit, und dann dieser Vorwurf, auch das ist frech.

Bemerkenswert ist nicht weniger, wie, neben seriösen Stimmen, allerlei Gelichter und Gelumpe lobt oder mit den bekannten Reflexen aufheult („nicht ganz dicht, aber ein Dichter“). Wirklich komisch – leider nicht nur – finde ich die vier folgenden Kommentierungen. Zwei der Aufrechten sind einschlägig profiliert. Bedauerlich, dass eine so verdienstvolle Frau wie Beate Klarsfeld dazu gehört.

Beate Klarsfeld schreibt in einer Mitteilung, wenn man das Wort „Israel“ in dem Gedicht mit „das internationale Finanzjudentum“ austausche, könne man es mit einer Hitler-Rede von 1939 vergleichen und höre die gleiche „antisemitische Musik“.

 „Was gesagt werden muss ist, dass es zur europäischen Tradition gehört, die Juden vor dem Pessach-Fest des Ritualmords anzuklagen“, erklärte der Gesandte Emmanuel Nahshon. Israel sei nicht bereit, die Rolle zu übernehmen, „die Günter Grass uns bei der Vergangenheitsbewältigung des deutschen Volkes zuweist”.

Selbstverständlich bringen Henryk M. Broder und Michael Wolffsohn wieder erheiternde Infamien bei: Broder sieht Grass im Alter zur Jugend zurückkehren: „Damals war er ein SS-Mann, heute schreibt er wie einer“. Der Historiker Michael Wolffsohn sagte über das Gedicht, man finde „so ziemlich jedes antisemitische Klischee darin, das man aus der rechtsextremen Ecke kennt“.

Nach diesen Ausfällen darf ich zynisch schreiben: Oh, wie mir das stinkt! Voller gemeiner Freude, dass einige Wütige das antisemitische Klischee verstehen. Günter Grass scheint den foetor judaicus vergessen zu haben, wie konnte das passieren?

Ach, ist das alles traurig, am Karfreitag, der in diesem Jahr auch der Sederabend ist. Die bessere Party haben heute jedenfalls die Juden.

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