Die Peredwischniki in Chemnitz

Vortreffliche Ausstellung, Katalog mit Lücken. Ein Nachtrag im März. Zwar kennt man die Peredwischniki in Ostdeutschland aus der Schule – wenn auch politisch tendenziös, mit verstärkter revolutionärer Färbung. Im Westen machte man aus genau diesem Grund und mit dem Fokus auf die Moderne einen Bogen darum: prästalinistisch, vormodern. Deshalb können die Städtischen Kunstsammlungen jetzt mit der ersten großen Ausstellung über diese Künstlergruppe in Deutschland aufwarten, kuratiert und erarbeitet vom Stockholmer Nationalmuseum.

So groß wurde die erhoffte überregionale Aufregung bisher nicht. Bemerkenswert ist, aber verständlich, wo sovielsoschön gemalt ist, das Publikumsinteresse. Renner – und im Katalog privilegiert –  ist Iwan Schischkins „Winter“, ein mit rigorosen Anschnitten und perfekter Oberfläche fast fotorealistischer verschneiter Waldausschnitt.

An dieser Stelle schon muss der leichte Ärger mit dem Kataloge genannt werden. Zwar erfasst er die Ausstellung (und mehr) zuverlässig. Doch nur Geburts- und Todesdaten der Maler sind angegeben. In den Texten zu den einzelnen Katalognummern werden sehr wenige biographische Details verraten. Zwar enthält der Katalog lesenswerte Aufsätze über die Entwicklung der Peredwischniki allgemein, über ihr Verhältnis zur Petersburger Kunst und ihre Stellung im europäischen Kontext, doch was jeweils gerade los war in Russland, als die einzelnen Bilder gemalt wurden, das lässt sich zu oft nicht ermitteln.

Dringend angeraten gewesen wäre bereits eine Zeittafel. Denn die vielen russischen Reformen nach 1850, die Diskussionen, die Veränderungen in der Folge der „Wanderausstellungen“, die schnellen Wechsel der Zaren und so weiter findet man anderswo nicht einfach. Es wäre interessant zu wissen, was 1890, als Schischkin seinen unter Schnee verdeckten Windbruch im Wald malte, politisch und kulturell los war, um eine Ahnung zu bekommen, wie das Bild damals von wem hätte aufgenommen werden können – vielleicht sogar gegen Schischkins Absicht und Ästhetik.

Die Peredwischniki, entstanden als antiakademische Opposition von Absolventen der Petersburger Akademie, war eine halbwegs geduldete Opposition. Russland reformierte sich, die Industrieproduktion wuchs enorm, das Land aber war aritokratisch-feudal organisiert. Dagegen gingen die „Fortschrittlichen“ aller Stände vor – auch am Zarenhof. Merkwürdig, dass im Katalog fortwährend von Kaisern die Rede ist.

Man müsste vieles genauer wissen, um diese differenzierten Verhältnisse und die Bilder in ihren Jahrzehnten zu verstehen – die 1860er sind ganz anders als die 1890er. Kurios erscheint die Parallelität zwischen Peredwischniki (offiziell bis 1923) und der frühen Revolutionskunst.

Russland, das große Russland, das unverstandene. Kurz vorher hatte ich Alexander Sokurows Russian Arc gesehen, diesen Bilderbogen aus drei Jahrhunderten russischer Geschichte, komprimiert auf anderthalb bewundernswert inszenierte Realzeitdreh-und-Filmstunden in der Eremitage zu St. Petersburg.

Aber auch ohne diesen Bogen dahinter sind die Peredwischniki eine sehr vergnügliche Ausstellung, trotz der mitgelieferten Dramatik, mit all dem Elend, aber eben mit viel Landschaft und Pittoreke, alles in prächtigen Malschinken in Goldrahmen, herrliche Geschichten, Tragik, Glück und Leid und all diese tauben Worte, realistisch und romantisch, nicht zu knapp symbolistisch und weiterhin akademisch, gut gemalt.

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