Irritierend und irritante: Über Thoren und Pauliner

Kein Wunder, bei diesem Pullover!, war mein Heureka nach der Lektüre eines Artikels in der Leipziger Volkszeitung vom Wochenende. Wer so etwas trägt, der kauft doch keine Dollar! Der Artikel „Der ganz private Rettungsschirm“ skizzierte unter anderem die Vorkehrungen eines Edelmetallhändlers gegen die Folgen des Notstandes, wenn der Euro zusammenbreche.

Vier Lager hat der Magdeburger angelegt, mit Lebensmitteln, Kinderbekleidung, Gold und Silber. Wie das klingt! Der Familienvater fürchtet den logistischen Zusammenbruch der Versorgung, wenn demnächst oder dereinst von einem Tag auf den anderen die Banken und Automaten kein Geld mehr haben. Für ein Jahr plant er, autark zu sein.

Vorsicht und Vorsorge sind gut. Edelmetalle werden kaum schlecht und in der Summe wohl nicht billiger. Gleichwohl fragte man sich beim Lesen, ob das nicht übertrieben ist: Kinderbekleidung? Und müssten im Falle des Notstands nicht Gold und Silber erst flüssig gemacht werden? Wenn die Angst vor dem Chaos nach dem Verschwinden des Euros diesen Mann bewegt, wäre es nicht viel praktischer, er würde ein paar tausend Dollar bereithalten, und den Rest lässt er American Express und FedEx erledigen?

Daraufhin schaute ich mir das Foto an. Ein strahlender schlanker Mann, der auf dem Porträtfoto, das der Autor des Artikels selbst gemacht hat, einen fahnenroten Pullover mit Norwegerflagge auf der Brust trägt – ein Symbol, das zum Thor-Steinar-Milieu gehört, was man bekanntlich Nazimode nennt.

Da fiel der Groschen bei mir: Na klar, so einer vertraut doch keinem Amerikaner, kauft doch keine Dollar, geschweige den Chinesen-Geld.

Nun liebe ich ja solche journalistischen Tricks der heimlichen Informationsvermittlung, frage mich aber, ob der Leipziger Volkszeitung dieser Fall eugenspiegelnder Argumentation gut zu Gesichte stehe. Aber der Fall ist kompliziert und irritierend.

Es passt ja auch die Kombination von Rechts und Zukunftsangst: Wenn der basic instinct für die Linke der unverdorbene Gerechtigkeitssinn ist, dann für die Rechte die Angst um die Zukunft der eigenen Kohorte. Wer annimmt, dass Schiff werde ihn und die Seinen noch bis ans Ufer bringen, hält sich an die politische Mitte.

Dann sagte ich mir: Jetzt spinnst du schon politisch überkorrekt, trägst doch selbst solche roten Shirts. Gewiss gibt es unbescholtene Pullover mit Norwegerflagge darauf, seien wir nicht kleinlich. Das ist einfach ein Norwegen-Fan, der seiner Liebe zu den Fjorden mit einem Pullover von dort Ausdruck verleiht.

Doch das teilt das Foto nicht mit. Was man sieht, teilt nach den Regeln der politischen Ikonographie mit, dort präsentiere sich ein bewusster Rechter. Er grient über das ganze Gesicht, weil er soeben den Redakteur einer immer noch gut beleumdeten Zeitung austrickst.

Ein böswilliger Schelm, wer von diesem Foto des Autors auf seine Kommentare zur europäischen Finanzmisere schließen und dort eventuelle Nationalismen herauspicken wollte. Aber Menschen sind böse!

Die norwegische Fahne passte zu der Marke, weil die ursprünglich wohl von dort oben kommt. Sie ließ sich in das symbolische Milieu von Thor Steinar einfügen, weil sie der deutschen Reichskriegsflagge zwischen 1938 und 1945 ähnelt. Sie ist kein Hakenkreuz, sie spiegelt gewissermaßen keine Kämpfernatur, sondern die gemäßigte Identifikation; ob sich das nach dem Massenmord von Oslo verändert hat, weiß ich nicht.

In Klubs und Stadien wurde Kleidung dieser Marke verboten, in der Leipziger Volkszeitung wird sie legalisiert? Norwegen hat die deutsche Firma der Marke verklagt und die Verwendung der Landesflagge verboten, weil sich Nazis damit kennzeichneten. Das darf der Zeitung egal sein? In Leipzig und anderswo wird gegen Läden protestiert, die diese Marke anbieten, eine Redaktion bezieht auf ihre Weise Stellung?

Übrigens gilt das auch, sollte das kein Thor-Steinar-Pullover sein, denn man muss das Symbol nach den Diskussionen darum in Deutschland exakt damit in Verbindung bringen. Ebenso gilt es, sollte auf dem Foto ein redlicher Familienvater diese Norwegen-Symbolik auf seinem Pullover tragen, ohne um ihre Bedeutung zu wissen. Dann sollte es ihm jemand sagen, die politische Ikonographie ist nun einmal eindeutig

Aber kann das denn sein? Dieser Mann sitzt auf dem Foto offenbar in seinem Laden. Hat er ein Interesse daran, eine ideologische Richtung zu präsentieren? Es würde möglicherweise Kunden kosten, auch in Magdeburg.

Bin ich in Wahrheit also nur Opfer meiner Vorliebe für ikonografische Deutung und zu langsam? Die Diskussionen um die norwegische Flagge und Thor Steinar begann vor fünf Jahren und lief vor etwa zwei Jahren aus. Es gibt genügend andere bekennende Symbole. Vielleicht ist die norwegische Flagge schon wieder „frei“?

Dies würde die ungeheure Schnelligkeit belegen, mit der sich politische Symbole ändern, aber, im Zweifel: Ist das öffentliche Gedächtnis wirklich so kurz?

Da liebe ich mir doch die einfachen Texte des Kollegen, der für die gleiche Ausgabe der Zeitung wieder einmal dem Paulinerverein seine Feder geliehen hat. Mit der seit Jahrzehnten auf gleicher Höhe praktizierten journalistischen Demut dieses Autors blickt der Artikel auf den 20. Geburtstag des Vereins.

Pikant ist, wie dabei angelegentlich des Uni-Kirchen-Aula-usw.-Baus ein prominentes Vereinsmitglied zitiert wird: „Dass es zum Entscheid für van Egeraat kam, ist vor allem Jutta Kreitz zu verdanken. Sie war für den Paulinerverein in die Jury berufen worden und brachte es fertig, dass der zunächst auf Rang sieben platzierte Vorschlag doch noch auf Platz eins vorrückte.“

Jule, liebe Jule, so kurz ist das öffentliche Gedächtnis doch nicht. Wenn das mal nicht diejenige Jutta ist, die damals noch J.S. hieß und wegen diverser Verstöße aus dieser Jury ausgeschlossen werden sollte, was die politischen Freunde von der Landesregierung zu verhindern wussten – worauf zwei andere Juroren aus Protest die Mitarbeit quittierten.

Über diese Jury gibt es Protokolle, die ich Gelegenheit hatte zu lesen. Alte Kamellen, aber aus Anlass des 20. Geburtstages des Paulinervereins erlaube ich mir auf meinen Artikel in den Leipziger Blättern von 2004 zu weisen. Er wäre, soviel Selbstkritik muss sein, mit neueren Erkenntnissen punktuell zu korrigieren, skizziert die damaligen Verhältnisse aber genügend klar.

(Und: Pardon, liebe und geschätzte Kollegen, ich wollte hier eigentlich niemals über die LVZ nörgeln, aber die Wochenendausgabe forderte es heraus, wie es Bernd Hilder niemals besser gekonnt hätte.)

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