Das neue Meißen und die Künstler

Kleine Phänomenologie einer Begegnung. Beitrag für den Katalog der Ausstellung September/Oktober 2011 in der Spinnerei Leipzig, leicht verändert.

Als eine Gruppe Leipziger Künstler, meist Maler, eingeladen wurde, zum Zwecke einer Zusammenarbeit die Meißner Porzellan-Manufaktur zu besuchen, verlief die Begegnung friedlich, herzlich, in der Sache skeptisch. Bei einigen schwand die Skepsis schneller, bei anderen langsam. Die Begegnung zwischen zeitgenössischen Künstlern und der von Tradition und Stabilität geprägten Marke Meißen provozierte verschiedendste Reaktionen. Sie werden folgend beispielhaft skizziert.

Zwei Scheren sind geöffnet. Zum einen die zwischen Malern und Meißen. Jeder kennt das Meißner Dekor, die Motive. Niemand kennt die Maler, mit Ausnahme Johann Gregorius Höroldts. Doch wurden Farbe, Zeichnung jemals nur als Dienerinnen verstanden?

Keinesfalls. Die 10 000 eigenen Farbmischungen der Meißner Manukfaktur, deren Geheinmis gehütet wird, sprechen eine andere Sprache. Gleichwohl blieben die Maler angestellt. Auch wenn sie als individuelle Entwerfer auftraten, zunehmend im 20. Jahrhundert, blieben sie im Dienst des Designs. Die zweite Schere ist die zwischen zeitgenössischen Künstlern und der Marke Meißen. Zunächst waren selbstverständlich Zeitgenossen am Werk, Johann Joachim Kändler und Höroldt sind die Berühmtesten; anschließend waren sie Ausnahme. Ausnahmen bestätigen die Regel: Gottfried Semper, Gerhard Marcks, Ernst Barlach und Max Lingner haben für Meissner Porzellan gearbeitet. Doch neue Entwürfe blieben Randgebiet.

Dass nun ein Art Campus als vergrößerter Teil der neuen Orientierung in Meißen die Arbeit intensiviert, macht gespannt, welchen Anteil die modernen Künstler erringen können. Von Otto Piene und Karl Otto Götz sind bereits größere Werkgruppen entstanden, in denen die Künstler für diese Technik unvermutete Spontaneität und Impulsivität unter die feinen Oberflächen bringen. Die Einladung an arabische, russische und indische Künstler spiegelt die Märkte, in denen das „neue Meißen“ Erfolge findet.

Die Leipziger Künstler reagieren komplex. Fast alle Künstler haben lange darüber nachgedacht, wie sie mit Porzellan oder auf Porzellan arbeiten, zwei sind ausgestiegen. Die langsame Annäherung scheint im Nachhinein logisch. Auf kaum jemandes Arbeitsplan oder Karrierehoffnung dürfte vorher notiert gewesen sein, einmal für die Meißner Manufaktur zu entwerfen.

Zwar kennt die plastische Arbeit der zeitgenössischen Kunst keine Tabus, aber gerade weil jedes Material je nach Zweck möglich ist, scheint das kulturell und kulturgeschichtlich durchtränkte Porzellan eher belastet zu sein. Gleiches gilt für Maler, zumal meist nicht bekannt ist, dass sich relativ leicht auf Porzellanflächen zeichnen und malen lässt, und dass die Technik durch den Brand ähnliche Überraschungen bereit hält wie Radierung und Lithografie beim Druck.

Rigo Schmidt, der in kleinteiliger, feiner Malerei erprobt ist, erkannte die Chancen der für einen Maler unbekannten Oberfläche unmittelbar. Rigo Schmidt geht von der Gebrauchsgewohnheit des Meißner Geschirrs aus, vom angenehmen Gefühl der Gediegenheit, der Dauer, der Sicherheit. Er bringt Motive in diesen Gebrauch, die dem Erwartbaren widersprechen: Ein unfreundliches Insekt am Boden der Schüssel vorzufinden macht keinen Spaß. Der Totenschädel an eben dieser Stelle ist ein sarkastisches Memento Mori – hütet euch vor der Völlerei.

Wie Rigo Schmidt arbeiten die Künstler überwiegend auf das Material und die  Marke zu. Porzellan ist eben mehr als ein Stoff, mit dem man Figuren formt, mehr als eine Fläche, auf die nun eben gemalt würde. Eine Zeichnung zu brennen, ist eine mediale Operation mit Folgen, viel mehr als eine Übertragung: Spontaneität in klassischem Kobaltblau, auf Porzellan, durch den Brennvorgang ohnehin um 16 Prozent geschrumpft.

Katharina Immekus hat ihre schon in anderen Zusammenhängen benutzte Zeichnung eines Unterholzes technisch auf ein Vielfaches vergrößert, das Ergebnis segmentiert und auf einzelne Porzellankacheln übertragen. Was sich wie eine rein praktische Operation anhört, nimmt auf faszinierende Weise Kontakt auf mit den kleinen Walddekors in der traditionellen Meißner Malerei. Aber dieser Aspekt kommt eher automatisch hinzu, in erster Hinsicht geht es der Künstlerin um Wahrnehmung und Konstruktion von Bildern. Denn es ist im modernen Sinne durchaus ungewöhnlich, eine heftgroße, höchst dichte Zeichnungsaufnahme eines banalen Stück Waldes anzufertigen. Das ist der Ausgangspunkt. Indem Katharina Immekus dieses Details getreuer Naturaufnahme nun durch den Prozess der Vergrößerung und der Verkleinerung des anschließenden Brandes schickt, ist das Resultat eine Konstruktion, die dem Ursprungsbild gleichsam nur noch äußerlich ähnelt.

Ein Teppichmotiv setzte Birgit Brenner in eine Tafel aus Porzellanen um. Es ist bemerkenswert, die etwas ermüdete Wohlständigkeit des Teppichs in dieser Weise zu sehen. Birgit Brenners Thema ist immer wieder die Gefährdung des Mittelstandes. Auch sie benutzt also die Konnotation des edlen Materials. Es gibt ihr einen neuen Fond für ihr Teppich-Motiv als Ausdruck einer materiellen und emotionellen Verarmung. Der Teppich als Biedermann, vergeblich in porzellaner Eleganz. Daneben die Magie des Wandelns: der weiche Stoff wir eine schmelzglatte Oberfläche. Auch für andere Künstler sind der gewichtige Charakter der Marke und des Materials ausschlaggebend – die Recherche steht am Anfang der Arbeit, sie provoziert die Reaktion, die einen deutlichen Bezug zum Anlass behält.

Vom Material aus ging Bea Meyer, um auch eine plastische Begegnung einzubeziehen. Sie modellierte einen verknoteten, voluminösen Stoff. Das Motiv ist als Gewand immer ein Meißner Problem gewesen. Stoffe und Gewänder sind als Verwringung als emotionale Form erprobt, Stoff und Vorhangverknotungen haben seit dem „Tempelvorhang“ als Charakter einer Person oder Situation eine Motivgeschichte. Bea Meyer hat ihre Arbeiten wiederholt aus weiblichen Identitäten her entwickelt, man wird ihre körperhafte Figur in diesem Rahmen betrachten dürfen.

Gehört zu den Aspekten der Begegnung, dass ein gutes Drittel der Künstler die Angelegenheit erst einmal hinlegten? Oder dass die technische Verfahren unerwartet viel Zeit kosteten und die Arbeit zum Ausstellungstermin nicht fertig wurde? Oliver Kossack, permanent sprachlichen Sonderheiten auf der Spur, plante zum Zeitpunkt dieser Notiz die Redewendung vom Sturm im Wasserglas, storm in a teacup, ins Porzellan zu bringen. Nachrangig ist für Kossak, dass verschiedene Kulturen zusammen treten. Allerdings könnte diese Konfrontation wegen seiner betont alltags-populären Farben die Anmutung bestimmen. Das spontane Graffiti, die sprachliche Intervention sind recht ungewöhnliche Meißner Dekore.

Bei zwei weiteren Künstlern, die ihre Fiktionen in einem präzisen realistischen Stil entwickeln, treten der tiefe Grund unter dem Porzellanbrand und das Phänomen der Bildentstehung in einen Dialog ein. Aris Kalaizis lässt tastend das Bild heraustreten, das bei ihm durch den konzeptionellen Ursprung als Foto eine mehrstufige Transformation durchläuft. Steve Viecenz setzt auf den Kontrast zwischen der schwarzen Zeichnung und dem umgebenden Weiß, seine Scherenschnitt-Ästhetik spielt überdies ebenso mit dem Zeithorizont des Porzellans wie mit der Erwartung der Betrachter, die er hintergeht.

Wo wären also die Eckpunkte dieser kleinen Phänomenologie? Die Begegnungen gehen weit über die Benutzung formaler Dispositionen des Porzellanbrandes hinaus, aber gerade die boten den Weg. Dem anfänglichen Fremdeln folgte das Interesse an den sozialen und historischen Dimensionen, das Begreifen der technischen Möglichkeiten gab den Auslöser.

Dabei folgen die Künstler den Prinzipien ihrer Arbeit mit herkömmlichem Material, schließen an Themen und Motive ihrer bisherigen Arbeit an. Die einen gehen auf die Gebrauchsformen zu und nutzen sie zur Irritation, die anderen reizt die Fläche, der ungewohnte Oberflächenschmelz, die weichen Farben. Dritte erörtern die medialen Transformationen zwischen Porzellan, Idee und Zeichnung, zwischen den zarten Objekten und der Erscheinung Bild. Dabei dient der Rückraum des Porzellans mal mehr mal weniger, aber komplex: als Geschichte, Charakter und als Image, in seiner technischen Besonderheit.

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