Die Zukunft des schwarzen Trabanten ist abstrakt?

Mit dem Zug nach Karlsruhe kam ich im „Automobilsommer“ an und geriet in die Ausstellung CAR CULTURE – Medien der Mobilität. Der bewährte Kombi- und Komplexdenker Peter Weibel und weitere Kuratoren verbinden im ZKM die Kunst um das Automobil mit der Geschichte des Mobiltelefons und der technischen Mobilität schlechthin: „Mit der Automobilität, der Selbstmobilität, begann vor 125 Jahren die Ära der individuellen Mobilisierung, die heute mit dem Mobilfunk einen neuen Höhepunkt erreicht hat.“

Der Grad der Verformung des Autos gewährleistet, wenn er dafür ausreicht, die Wahrnehmung als Kunst. Es stehen dort Kram und Spielerchen und wunderbare Dinge – plastisch von Erwin Wurm als aufgequollenes Fat Car Convertible (Porsche), anekdotisch, symbolisch und poetisch von Jean-Jacques Lebel als „Monument à Felix Guattari“. Einschlägig Verdächtige sind selbstverständlich dabei (Vostell, Schult, Chamberlain, Weibel selbst).

Auf einer grauen Drehscheibe findet sich ein bis über die Scheiben schwarz lackierter Trabant. Er glänzt wie ein Ausstellungsstück, die Front- und Rücklichter brennen. Aber die Kombination Trabant und Schwarz ruft sofort eine andere Assoziation auf: Ein Sarg in Form eines Trabanten, ein Trabant hergerichtet als Sarg, aus dem Computer-Stimmen ertönen, die komplett „Das Kapital“ von Karl Marx vorlesen. Die Installation von Ecke Bonk, genannt „Deutsche Einheit – Trabant E-Klasse“ bezieht sich auf frühere Kunst, auf Ange Leccias Präsentation eines Mercedes, die wohl einmal ein Blickfang auf einer Documenta war und uns Studenten im Leipzig der späten 80er Jahre einmal kurz beschäftigte.

Ich habe, indirekt mit Leccias Installation, ganz leibhaftig erlebt, wie Lebensverhältnisse als allgemeinste Kunstverhältnisse die Kunstwahrnehmung verhindern und befördern, und dass man ihnen – nicht zum großen Schaden – auf den Leim gehen kann.

Der Professor Karl Max Kober zeigte in einem Seminar in Leipzig neben vielen anderen ein Dia einer Installation: Die Präsentation eines Mercedes von dem französischen Künstler Ange Leccia. Zu sehen war da die perfekt gestylte, also ästhetisierende Auto-Salon-Ausstellung eines blauen Mercedes 300 CE, auf einer Drehscheibe, mit spiegelndem Glas darunter – 1:1 übernommen als „Die Verführung“ in die Kunstausstellung der documenta. Was empfinden sie, wenn sie das sehen, fragte der Professor, und eine Kommilitonin fragte zurück, ob es schlimm sei, wenn man gar nichts empfinde. Nun denn, das hörte Kober gern, aber es war ehrlich.

Der Kontext der Installation war gewiss verständlich. Von Konsum und Fetischisierung, von Ikonisierung und Ästhetisierung, Kunstbegriff, Design Ware bis hin zur Omnipräsenz und -potenz dieser Konsum-Ikone gegenüber den Bildproduktionen der Kunst. Aber eigentlich schien das Kunstwerk allzu argumentativ und kompilativ – es hat uns tatsächlich nicht weiter interessiert.

So etwas kann sich ändern. Am Jahresanfang 1990, ausgestattet nur mit dem sogenannten Begrüßungsgeld und also, wo es ging, zu Fuß unterwegs, geriet ich in Frankfurt am Main auf dem Weg vom Bahnhof zum Städel reichlich abseits und fand mich auf einer breiten Straße mit Hochhäusern, im Frankfurter Bankenviertel. Es war kalt, ich war fremd, verirrt und also verwirrt. Außer den spiegelnden Fassaden und Parkhausausfahrten nichts, eiskalt, kein Mensch. Dort erinnerte ich mich blitzartig an die Installation von Ange Leccia.

Denn plötzlich kreuzten meinen Weg, nur drei, vier Meter entfernt, aber ganz weit weg, mehrere schwarze, glänzende Mercedes-Limousinen, die aus einer Ausfahrt schnaubten und davonrauschten. In diesem Moment fiel mir diese Installation von Leccia ein – und sie bewahrheitete sich gewissermaßen, sie holte sich quasi nachträglich ihre Legitimität.

Es war eine regelrechte Parusie, eine verspätete. Nicht aus einer Erfahrung mit dem Originalwerk wohlgemerkt, sondern lediglich von einer Abbildung und einer Diskussion und in diesen geistig höchst aufregenden Winterwochen, verirrt im Frankfurter Bankenviertel. Sicher betraf mich in dem Moment nur ein Teil des Werkes, die Prätention, die repräsentative Wucht, die Macht, die sich da mitteilte. Doch gleichwohl: die Erfahrung, die 1987 fehlte, ermöglichte 1990 so etwas auch als Kunst zu erfahren, was bekanntlich mehr ist, als es zu verstehen.

Davor hatte dafür die Erfahrungswelt gefehlt. Eigentlich verändern sich ästhetische Mentalitäten nicht gar so schnell, dieser Moment des Außer-sich-Seins an einem kalten Wintertag war ein gewissermaßen positiver Sprung ins Kalte Wasser für mich. Aber die Sache hat eine Pointe.

Josef Filipp machte 1994 in Schloss Mosigkau seine schöne Ausstellung „East of Eaden“ und Ange Leccia war wieder dabei, diesmal mit zwei Fußballtoren, die sich gegenüber stehen. Ich las ein wenig drum herum, und, um es kurz zu machen: der Reiz des Mercedes war verflogen. Aus einigen Jahren Entfernung musste ich konstatieren, dass meine Akzeptanz dieses Werkes von 1987 wohl der massiven Neue-Erfahrungs-Euphorie von 1990 geschuldet gewesen war.

Vielleicht liegt darin die Pointe: Auch Leccia erlebte den kleinen Kulturbruch, er ist ein 1952 geborener Korse, der nach Paris ging und dort Kunstprofessor wurde. In dem rigorosen Umbruch 1989/90 reichte mir das Plakative, ungestaltete Deplacement aus, später nicht mehr (Leccia macht jetzt vor allem Film, stellt aber auch seine Fußballtore noch hin).

Ecke Bonk, der sich mit der Drehscheibe auf die „Verführung“ bezieht, hat das Objekt Auto zwar weiter bearbeitet, aber auch erheblich überspannt bzw. intellektuell zersplittert. Sein „Trabant E-Klasse“ (1989/2009) wirkt in der Ausstellung überwiegend größerer Karossen naturgemäß klein, die Form ist echter Trabant. Das Schwarz soll dem Klavierlack ähneln, doch Veredelung erfährt diese Form dadurch nicht, vielmehr verwandelt sie sich, ich wiederhole, in einen Sarg.

Wird also nur Karl Marx ironisch begraben? Warum dann die Drehscheibe, die Präsentation wie eine Luxuslimousine? Sie wirkt paradox und sarkastisch.

Zitat von der Beschilderung, das wieder einmal anzeigt, wie weit Wollen und Können oder Idee und Form in der Kunst oft auseinandergehen: „Ecke Bonk positioniert das sozialistische Volksauto als exklusive Kapitalanlage, deren Scheincharakter durch die synthetischen Stimmen hervorgehoben wird.“ (So sieht eine exklusive Kapitalanlage aus? Die Stimmen die das Kapital lesen, heben einen „Scheincharakter“ hervor?)

„Sie entlarvt die künstliche Identität des „Trabbis“, in dessen tadelloser Aufmachung sich der Fetischcharakter der Ware materialisiert, den Marx im ersten Band des „Kapitals“ abhandelt.“ Mit Verlaub, das nenne ich überspannt. „Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall thematisiert Ecke Bonk im Kontext der jüngeren gesamtdeutschen Geschichte anhand eines hybriden Pseudo-Modells die universelle Sprache des Geldes in seiner Eigenschaft, konkurrierende Systeme hervorzubringen.“ Es ist schön, dass er das thematisiert, aber eine Form, die dies auch aushält, muss er noch finden.

Doch vielleicht fehlt mir bislang nur das lebensweltliche Ereignis, das mich in einer nachträglichen Parusie von dieser Installation überzeugt? Schon jetzt könnte man zugute halten, dass Bonk so einen Trabanten, den er vermutlich erst 1989 kennenlernte, völlig abstrakt verwendet – dagegen hat jemand, der ein paar Jahre darin fuhr, Sinneserfahrungen, die diese Abstraktion behindern. Ob das reicht, die Sache zu retten? – ich werde die Angelegenheit im Sinn behalten.

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