Tracey ist eine Rakete, Simona ist tot, Charlotte in Therapie

Über Leben und Liebe, Kunst und Tragik, Nachtrag einer Zeitungslektüre. Zwei Überschriften rückten neulich ganz nahe zusammen: Die kluge Rezension der heute endenden Ausstellung von Tracey Emin (London,  Hayward Gallery) – im rechten Fuß der Künstlerin befindet sich, nach eigener Aussage „mehr Testosteron … als im gesamten Körper der meisten Männer“ – erhielt den Titel „Ganz nah an der Wirklichkeit“ (NZZ). Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung über das Leben der ermordeten Simona Monyova war getitelt „Vom Leben geschrieben“, womit die Romane der Monyova gemeint waren. Die beiden Fälle sind nicht identisch, können aber als Verschränkung von Biographie und Werk verstanden werden: hie taktisch, da tragisch.

Tracey Emins Erfolg beruht nicht zu knapp – meine ich – auf der kalkulierten und zuweilen demonstrativen Authentizität, mit der sie ihren Körper und all das, was er auf der Suche nach Liebe erlebt, in ihrer Kunst ausstellt. Ihr skrupelloser Einsatz eines sex sells (und seiner irritierenden Anti-Emotion) ist dabei sowohl Kunst- als auch Vermarktungsstrategie, sie verschmelzen. Um es kurz zu machen, für die Öffentlichkeit ist doch klar: Diese Tracey Emin ist eine Rakete! Öfter mal startunfähig, von Männern misshandelt, aber hoch explosiv. Natürlich darf sie das, lasziv und provozierend, schmutzig, leidend, verletzlich und geil.

Statt des zerwühlten Bettes von 1999 (mit Kondomen und Blutspuren) gibt es nun benutzte Tampons, jedenfalls solche mit „Rot“. Wer wöllte das verwechseln? Handschriftliche geformte Neonleuchtsätze mit emotionalen Botschaften sind das beste Symbol für das zweiseitige Spiel zwischen Ich und Öffentlichkeit.

 Zweifellos müssen Künstler ihr Ich ausstellen, absolut und ohne Bedenken. Das ist ihre Profession, daher ihre Empfindlichkeit. Wer Tracey Emin Narzissmus vorwirft, hat sich schon einfangen lassen. Selbstverständlich kann in dem Einzel-Ich die Gegenwart aufscheinen. Aber es ist zu bezweifeln, dass sich mit T.E. ein Ich – zumal nach gut zehn Jahren permanenter Öffentlichkeit – weiterhin naiv ausstellt. Vorauszusetzen ist eher, dass eine medienerfahrene Künstlerin der 90er Jahre mit Motiven der Ich-Authentizität und der eigenen Erotik auf der Klaviatur der geilen Welt spielt, und vermutlich von Anfang an. Sie hat das Potenzial als Frau erkannt. Sie wäre kein Popstar, wenn sie hässlich wäre. Gibt es schon eine Auswertung der Kunst der letzten 50 Jahre, wie sich erotisches Angebot und Attraktivität auf die Karriere auswirkte? Die Angelegenheit ist schwer zu verifizieren.

 Emin ist aber leider in ihrer vorgetragenen „Sexbesessenheit“ auch eine englische Charlotte Roche. Die hat ihren Erfolg gut organisiert, muss aber Zeitungsberichten zufolge auch einige Therapeuten davon bezahlen. Wie Roche taucht Tracey Emin in die aus Scham, Intimität und sozialer Tabuisierung ausgesparten Dunkelzonen der Frauenkörper, ihres Körpers zuweilen, und weidet dort herum. Das ist schlaue Kommunikation, bar jeder Wahrhaftigkeit – die letzthin auch niemand dort vermutet. Sie weiß, was sie tut. Auch wenn behauptet wird, dass Leben und Kunst überein gehen, schützt die Galerieschwelle letzthin vor der Identität. Und dennoch gilt das Spiel und wirkt – nicht so sehr über das Werk, sondern als Marke: Für Tracey Emins Erfolg sind weniger ihre Produktionen wichtig als ihre Positionierung „ganz nah an der Wirklichkeit“. Das spricht nicht gegen sie, bei Emin geht diese vermeintliche Balance zwischen Ich und Öffentlichkeit in die Form, wie angedeutet, mit den handschriftlichen Leuchtröhren. Und: ich mag sie, wie könnte ich anders? (Achtung, Ironie)

 Ein ganz anderer Fall, und umgekehrt tragisch. Eigentlich wollte Simona Monyova bessere Romane schreiben wollen, aber ihr erster sei als zu „elitär“ abgelehnt worden. Daraufhin (das steht nicht in der SZ, sondern in der NZZ) habe sie bewusst schlechtere Bücher geschrieben. Sie verheimlichte auch nicht, sie selbst würde anderen Lesestoff bevorzugen als solchen, den sie da Jahr für Jahr, manchmal halbjährlich ablieferte.

 Mit trivial erzählten Familienromanen hatte Simona Monyova aus Brno in den letzten Jahren großen Erfolg. Liebe und Verlangen, Enttäuschung, Sex im/und Alltag, Frust und Langeweile, Sehnsucht nach Flucht. „Herzschmerzen“ und „Die Frau mit den wilden Gefühlen“, so zwei Titel, Intrigen und Verrat, die Mangelgefühle, die Angst vor dem Alter, kurz, die stille Hölle der Ehe, und emotional fesselnde Werke, die, so heißt es, vor allem bei Frauen verschiedenen Alters Erfolg hatten. Sie war ein Star. Außergewöhnlich, dass dieser Erfolg nicht einem großen werbekräftigen Unternehmen gelang, sondern einem Selbstverlag – dem des Mannes der Monyova.

 Der, mit mehreren Stichverletzungen aufgefunden, ist nun tatverdächtig, seine Frau umgebracht zu haben. Jetzt heißt es, es hätte Schläge in der Ehe gegeben, seit Jahren heftigen Streit, sie hätte sich scheiden lassen wollen. Kurz: das Leben ihrer Romane, „vom Leben geschrieben“, das Schicksal ihrer Heldinnen, war doch erheblich näher an dem der Autorin, als angenommen wurde. Bei der Monyova sind sich Kunst und Leben vermutlich näher gekommen als bei Tracey Emin, leider in der falschen Kausalität, und weiter, als sie ihren Kunstfiguren antun wollte.

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